„Keiner kommt an Gott vorbei, außer Stan Libuda“ war ein geflügeltes Wort im Fußball der Sechziger. An Gott kam zumindest einer vorbei. An Bakery Jatta kommt zur Zeit keiner vorbei, der dem Fußball nahe ist. Mir war Bakery Jatta völlig unbekannt, bis mit dem Erscheinen des Artikels in der SportBILD aus seiner Biografie ein sportrechtlicher Fall wurde. Der Fall ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint.

Seit den ersten Berichten wird über den Fall Jatta mit der gleichen Leidenschaft diskutiert, wie sie dem Fußball immanent ist. Leidenschaft und Emotionen sind Teil der Faszination des Fußballs. Ikonisierung gehört zum Geschäft. Das alles wird aber weder den Beteiligten noch dem Thema gerecht.

Man darf ein übergeordnetes Verständnis von Fairness, Ethik und Moral im Sport und in diesem Fall auch Verständnis für die Situation Geflüchteter nie unberücksichtigt lassen. Ein „Fall“ ist immer in erster Linie von Menschen bestimmte Lebenswirklichkeit und etwas, was die Lebenswirklichkeit von Menschen verändert. Das verlangt respektvollen Umgang. Die Gesamtheit der Wertentscheidungen einer Gesellschaft müssen immer die Auslegung ihrer Regeln beeinflussen, dürfen aber die Auslegung der Regeln und ihre Anwendung nicht ersetzen. 

Es ist allerdings dem Zeitgeist geschuldet, dass genau dies passiert.

 Die Untersuchungskommission des SPIEGEL zum Fall Relotius schrieb noch im Abschlussbericht:

Wenn Populisten versuchen, die öffentliche Debatte zu okkupieren, muss Journalismus eine Alternative anbieten, also antipopulistisch sein. Wenn Information, Desinformation, Meinung, Urteil und Vorurteil immer nur einen Klick weit auseinander liegen, dann müssen wir Journalisten uns fragen, wie sich Journalismus kenntlich macht und davon abgrenzt. Bislang beklagen wir zwar diese Verrohung, schauen ihr aber tatenlos zu. (…) Guter Journalismus muss im konstruktiven Sinn verunsichern. Nicht mit donnernden Meinungen, sondern mit dem starken Argument. Das Sowohl-als auch  – oft als Beliebigkeit missbilligt – ist die Voraussetzung für die Eröffnung eines gesellschaftlichen Dialogs. Wenn Journalismus nicht zuhört, verschiedene Meinungen nicht anerkennt, unterschiedliche Lösungswege für Probleme nicht selbst aufzeigt oder mindestens gelten lässt, wird er Teil des Problems. ( DER SPIEGEL Nr. 22/25.5.2019, Seite 139)

Dieser bemerkenswerten Mahnung stelle ich den Kommentar von Christian Spiller in ZEIT ONLINE vom 27.8. gegenüber, in dem sich folgende Passagen finden:

Auch Sportrechtler argumentieren streng formaljuristisch. Sie empfehlen, die Diskussion um Jatta sachlich zu führen, ohne moralisch zu argumentieren (korrekt wäre das Zitat gewesen „ohne moralische Überlagerung“). Als ließen sich Moral und Recht trennen. Du sollst nicht töten. Und wenn möglich auch nicht einem beinahe vorbildhaft integrierten jungen Geflüchteten das Leben zur Hölle machen. Und erst recht nicht Rechtsextremen Futter geben. (…)

Ob Bakery nun Jatta heißt oder Daffeh, ob er 21 oder doch schon 23 Jahre alt ist, hat auf seine Leistung auf dem Platz und damit auf das Spiel keinen Einfluss. Kein gegnerischer Torwart würde einen einzigen Schuss mehr halten, nur weil der Schütze anders heißt als gedacht. Kein Gegenspieler würde einen einzigen Zweikampf mehr gewinnen, wenn er wüsste, dass sein Kontrahent ein wenig älter ist als vermutet.

Natürlich sollte die Angelegenheit aufgeklärt werden. Aber egal, was dabei herauskommt: Auf das, was im Fußball zählt, auf das nämlich, was auf dem Platz passiert, auf Sieg oder Niederlage, haben die Vorwürfe keinen Einfluss. Jatta hat dort niemanden betrogen. Mit sportlicher Fairness haben die Einsprüche deshalb nichts zu tun, sie sind momentan nicht mehr als kleinkariertes Funktionärsdenken. (…)

Die Paragrafenreiterei wäre nur halb so schlimm, wenn die Clubs in ihrer stillen Hoffnung auf einen etwaigen Formfehler nicht übersehen würden, welche gesellschaftliche Botschaft ihr Protest vermittelt. Ob sie wollen oder nicht, ihre Einsprüche senden ein übles politisches Signal: Wir glauben, Jatta dürfe gar nicht mitspielen. Ja, eigentlich dürfte er gar nicht hier sein.

(https://www.zeit.de/sport/2019-08/bakery-jatta-einsprueche-hamburger-sv)

Begrüßenswert ist fraglos, dass die Ausführung als Meinung und nicht als Nachricht gekennzeichnet ist. Bedauerlich ist, dass Christian Spiller eine rechtliche Wertung offensichtlich für verzichtbar hält, weil sie seine moralische Wertung ohnehin nicht erschüttern würde. Sachlichkeit ist verzichtbar, genauso wie eine Auseinandersetzung mit dem Für und Wider. Aufklärung ja, aber Rechtsanwendung ist Paragraphenreiterei. Da steht man drüber. Donnernde Meinung.

Damit diskutieren wir aber bereits eine zentrale Frage jeden Rechtsstaates, nämlich den unbedingten Geltungsanspruch des geschriebenen Rechts ohne Ansehen der Person und ohne Beeinflussung durch den wankelmütigen Zeitgeist. Die Aussage, ob Jatta oder Daffeh falsche Angaben bei der Einreise gemacht hat sei egal, weil „entscheidend is auf´m Platz“, ist mit dem Wesen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Es würde dazu führen, dass wir bestimmte Menschen oder Gruppen von Menschen von der Anwendung des Rechts ausnehmen, weil wir für ihre Motive Verständnis haben oder weil sie einfach gut Fußball spielen können. Die Auslegung des Rechts und seine Anwendung wird in einem neuzeitlichen Scherbengericht durch eine gerade mehrheitsfähige Stimmung in der Gesellschaft ersetzt. Wollen wir das auch dann noch, wenn wir bedenken, dass die Stimmung in unterschiedlichen Teilen Deutschlands eben unterschiedlich ist? Die Frage ist eine des Prinzips und nicht des unserer Einstellung gerade entsprechenden Ergebnisses.

Wir befinden uns hier zwar nicht im staatlichen Recht, sondern im selbst gesetzten Recht der Sportverbände, aber das Prinzip ist nicht anders, auch wenn es im Sport anders genannt wird: Wettbewerbsgerechtigkeit und Fairness.


Was ist Sport?

Das Wesen des Sports liegt darin, unter normierten Ausgangsbedingungen, die in der Gesamtheit der Regeln zum Ausdruck kommen, den Sieger eines Wettbewerbes zu ermitteln. Regelbeachtung ist dem Sport immanent. Fairness ist die stillschweigende Vereinbarung, sich an die Regeln zu halten und sich keinen unerlaubten Vorteil zu verschaffen.

Wenn jemand dopt, verschiebt er die Ausgangsbedingungen zu seinen Gunsten. Wenn jemand gegen Financial Fairplay verstößt, verschiebt er die Ausgangsbedingungen zu seinen Gunsten und wer gegen 50+1 verstößt, tut das auch. Wenn jemand eine Spielberechtigung nur deswegen erhält, weil er falsche Angaben zu seiner Person macht, ist auch dies eine verdeckte Verschiebung der Ausgangbedingungen zu seinen Gunsten und damit ein Verstoß gegen das Gebot der Fairness und der Wettbewerbsgerechtigkeit.

Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein Athlet (kein Fußballspieler) in Osteuropa wegen Dopings gesperrt wurde und während der Sperre unter anderem Namen in einem anderen Nationalverband eine neue Startberechtigung beantragt und erhalten hat. Die Öffentlichkeit wäre sich vermutlich darüber einig, dass der Sportler nicht in den Wettkampf gehört. Gleicher Verstoß, anderes Motiv, andere Wertung.

Wenn wir dies bedenken, müssen wir zugestehen, dass die Diskussion der Frage, ob eine Spielberechtigung erteilt und ein Einsatz des Spielers gerechtfertigt ist, durch Verständnis für Fluchtursachen und die möglichen Motive des Spielers (die uns freilich so unbekannt sind, wie das Geschehen), vorentschieden wird. Hätte man aber dann nicht auch Zidane im Finale der WM 2006 wegen des Kopfstoßes gegen Materazzi die rote Karte ersparen müssen, weil Materazzi Zidane mit der Beleidigung, Zidane´s Schwester sei eine „Nutte“, provoziert hatte und wir für die impulsive Reaktion von Zidane Verständnis haben? Wollen wir vor Zeigen einer roten Karte für einen groben Regelverstoß Ursachenforschung betreiben? Oder soll die DFL von der Ahndung eines Auflagenverstoßes im Lizenzierungsverfahren absehen, weil der Verein sich nicht anders zu helfen wusste, um sein wirtschaftliches Überleben zu sichern? Wohl nicht. Dieser Teil des Sportgeschehens ist bestimmt von strikter Regelkonformität.

Motive sind allenfalls bei der Strafzumessung beachtlich, also bei einer Sanktion, um die es hier nicht geht. Es geht um die Frage, ob eine Spielberechtigung vorliegt und ob sich ein Gegner auf eine „falsche Spielberechtigung“ berufen kann.

Wer hat eine Spielberechtigung?

Meine Überlegung ist natürlich hypothetisch, wie gegenwärtig der gesamte Sachverhalt. Jede Vorverurteilung ist falsch. Ich gehe im Moment nur davon aus, dass der Personenstand von Jatta bisher nicht endgültig geklärt ist und beurteile den Fall „was wäre wenn“.

Sollte er falsche Angaben gemacht haben, so hätte ich bereits Zweifel, ob bei Angabe falscher Personalien die tatsächlich am Spielgeschehen teilnehmende natürliche Person über eine Spielberechtigung verfügt. Ein Individuum wird für gewöhnlich durch biographische Zuordnungsmerkmale identifiziert wie Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Name der Eltern etc., die sie in der Summe unverwechselbar macht. Werden fiktive Daten angegeben, erlangt auch nur die durch die falschen Daten beschriebene fiktive Person eine Spielberechtigung, nicht jedoch die natürliche Person, für die der Antrag vom Verein gestellt wird. Sollten sich also die Angaben von Bakery Jatta als falsch erweisen, käme es m.E. nicht mehr zu der Frage, ob die Spielberechtigung auf den rückwirkenden Zeitpunkt der Erteilung oder nur für die Zukunft widerrufen würde. Für diesen Fall wäre die natürliche Person auf dem Platz Bakery Daffeh, für den nie eine Spielberechtigung beantragt und erteilt wurde.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die DFL in Meldungen stets die Spielberechtigung von Bakery Jatta mit Namen und Geburtsdatum verknüpft. Was ist nach ihrer Auffassung, wenn beides falsch ist?

Die Angabe falscher Personendaten hätte auch noch andere bisher nicht diskutierte Konsequenzen und ist deswegen auch kein Bagatelldelikt. Bakery Jatta soll bisher nie im organisierten Sport aktiv gewesen sein, während Bakery Daffeh bereits bei unterschiedlichen Vereinen in Gambia, Nigeria und dem Senegal gespielt und dort auch seine Ausbildung absolviert haben soll. Daffeh war 2016 21 Jahre alt. Für ihn hätte der HSV gemäß Artikel 20 in Verbindung mit Anhang 4 des Reglements bezüglich Status und Transfer von Spielern der FIFA Ausbildungsentschädigung zahlen müssen, die möglicherweise den HSV von einer Verpflichtung abgehalten hätte. Jatta hingegen war ohne Sportbiografie und Ausbildungsvereine kostenfrei.

Bakery Daffeh hätte nach den Regeln des FIFA RSTS in Deutschland nur zugunsten des HSV registriert werden dürfen, wenn er von seinem letzten Verein Brikama United über den Verband in Gambia eine Freigabe erhalten hätte. Ob Bakery Daffeh dort noch vertraglich gebunden war und eine Freigabe nur durch Zahlung einer Transferentschädigung hätte erreicht werden können, ist mir unbekannt. Bakery Jatta war nie registriert. Für ihn war keine Freigabe erforderlich.

Sportrechtlich oder Transferrechtlich sind aber demnach an die Identifikation eines Spielers erhebliche Rechtsfolgen geknüpft.

Bakery Daffeh hätte zudem mit 21 Jahren ohne (uns möglicherweis nur unbekannte) Flucht- oder Asylgründe möglicherweise keinen Aufenthaltstitel (und damit auch keine Spielberechtigung) bekommen, der unbegleitete minderjährige Bakery Jatta hingegen schon. Sollten sich seine Angaben als falsch erweisen, wäre auch das nach §§ 95, 49 Aufenthaltsgesetz strafbar, auch wenn er keinen Asylantrag gestellt hat. Seit dem Ende der Diktatur in Gambia 2017 werden seit 2018 vermehrt Geflüchtete, auch gut integrierte Menschen in Ausbildung, nach Gambia abgeschoben. Man kann das kritisieren und diskutieren – das aber ist eine gesellschaftliche und politische Debatte, man muss sie nicht mit einer Spielberechtigung im Fußball verknüpfen.

Welche Folgen können sich für die Vereine ergeben?

Zuletzt geht es noch um die Frage, wer im Verhältnis zwischen den Vereinen, oder im Verhältnis des Vereins, der den Spieler beschäftigt, zum DFB, zu vertreten hat, wenn sich Angaben eines Spielers als falsch erweisen sollten.

§ 10 Abs. 2.4 der Spielordnung DFB lautet „Der Verein ist für die Richtigkeit der Eintragungen im Spielerpass, die auf seinen Angaben beruhen, verantwortlich.“ Steht so in allen Spielordnungen, die ich kenne, auch zum Beispiel beim Deutschen Handball Bund.

Antragsteller ist im Übrigen immer der Verein für den Spieler, nicht der Spieler selbst. „Auf seinen Angaben beruhen“ bezieht sich also immer auf die Angaben des Vereins. Macht er sich Angaben des Spielers zu eigen, haftet der Verein.

Es geht hier nicht um ein Verschulden im Sine eines moralischen Unwerturteils, sondern um Vertreten müssen im Sinne einer verschuldensfreien Risikozuordnung. Die kennen wir auch bei der Verantwortung der Clubs für das Verhalten Ihrer Anhänger gem. § 9a RUVO DFB, was mittlerweile (leider) weitgehend unumstritten ist.

Der Verein stellt den Antrag auf Erteilung der Spielberechtigung für den Spieler und macht sich dessen Angaben zu eigen. Damit trägt auch er das Risiko, dass die Angaben nicht zutreffend sind. Das scheint richtig, weil das Risiko aus der Sphäre des Vereins kommt, der den Spieler beschäftigt, nicht hingegen aus der Sphäre des DFB, als der die Spielberechtigung erteilenden Stelle, und auch nicht aus der Sphäre des jeweiligen gegnerischen Vereins am Spieltag. Folgerichtig ist für die Verhängung einer Geldstrafe für die Mitwirkung eines Spielers ohne Spielberechtigung oder für einen Einspruch gem. §§ 7, 17 Abs. 2 a) RUVO auch ein Verschulden des Vereins, oder sogar nur dessen Wissen von der fehlenden Spielberechtigung, nicht erforderlich.

Verschulden des Vereins ist nur gem. § 17 Abs. 4 RUVO DFB erforderlich, wenn das Spiel mit der Begründung neu gegen den Verein gewertet werden soll, der Verein habe den Spieler „schuldhaft“ eingesetzt.

Ursprünglich durfte der HSV sicher guten Glaubens darauf vertrauen, dass die Angaben in einem amtlichen Dokument und vom eigenen Spieler auch zutreffend sind.

Der DFB hat im August 2016 eine Broschüre veröffentlicht, die in dieser Phase wertvolle Orientierung und Anregungen für die Vereinspraxis und die ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen gegeben hat. Darin findet sich der Hinweis

Für Vereine und Verbände besteht jedoch kein Grund, behördliche Dokumente (z. B. Aufenthaltstitel) in Zweifel zu ziehen oder die dortigen Angaben selbst zu überprüfen. Dies gilt auch, wenn in den Dokumenten vermerkt sein sollte, dass die dort festgehaltenen Daten auf eigene Angaben des Inhabers zurückgehen.

(Abrufbar unter https://www.dfb.de/vielfaltanti-diskriminierung/integration/fussball-mit-fluechtlingen/)

Das ist praktikabel und richtig. An dieser Stelle darf aber der Hinweis nicht fehlen, dass die Beurteilung allein anhand der Spielordnung und der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB vorgenommen wird und nicht anhand der Broschüre oder der Meinung der DFL, die so wenig Satzungsgewalt innerhalb des DFB hat, wie die Abteilung innerhalb des DFB, die die Broschüre veröffentlicht hat.

Der Bericht der SPORTBILD und die seitdem veröffentlichen Nachrichten haben sich dann allerdings nicht nur in der schlichten Behauptung erschöpft, Jatta sei in Wahrheit Daffeh. Das wäre vermutlich unbeachtlich. Vielmehr gibt es eine Reihe behaupteter Tatsachen, die – wenn sie wahr sein sollten – schlüssig zu der Wertung führen würden, dass der Spieler Jatta falsche Angaben über seine Personenstandsdaten gemacht hätte. Ich bin der Meinung, dass ab diesem Zeitpunkt der Verein seinen guten Glauben verloren hatte und sich nicht mehr blind auf die Angaben des Spielers verlassen durfte. Das macht den Verein nicht „bösgläubig“, auch das ist keine moralische Kategorie, er ist eben nur nicht mehr in seinem guten Glauben geschützt und hat m.E. im Rahmen des § 17 Abs. 4 RUVO zumindest Fahrlässigkeit den Einsatz des Spielers ohne Spielberechtigung zu vertreten, weil er als der Wettbewerbsteilnehmer, der dem „Risiko“ am nächsten ist, seiner Verantwortung gegenüber den anderen Wettbewerbsteilnehmern nicht gerecht wird. Ob das indes tatsächlich „schuldhaft“ wäre, entscheidet am Ende das Sportgericht.

Sind die Einsprüche der Gegner des HSV unfair?

Natürlich nicht. Auch Fairness wird durch die Vereinbarung aller Wettbewerbsteilnehmer bestimmt, sich an die Regeln zu halten. Sollten sich die Angaben als falsch erweisen, so hätten sich der Spieler einen Wettbewerbsvorsprung erschlichen, weil er bei wahrheitsgemäßer Angabe seiner biographischen Daten möglicherweise keinen Aufenthaltstitel und keine Spielberechtigung erhalten hätte. Der HSV hat möglicherweise – wenn auch damals unwissentlich – einen Wettbewerbsvorteil erlangt, weil ihm einen Ausbildungsentschädigung und eine denkbare Transferentschädigung erspart geblieben ist. Über die Höhe und die Relevanz für das Budget will ich nicht spekulieren. Entscheidend ist aber, dass sich der Sport durch seine Regeln definiert und hier möglicherweise ein Regelverstoß vorliegt, der in seiner Wirkung nicht völlig unbeachtlich ist. Gegen einen möglichen Regelverstoß eines anderen Wettbewerbsteilnehmers Einspruch einzulegen, ist Teil der Pflichten jeder Vereinsführung.

Ich mache mir kein Urteil, ob Jatta seine Spielberechtigung unter Angabe falscher Daten erlangt hat, oder nicht. Dazu bin ich weder berufen, noch habe ich dazu das notwendige Faktenwissen. Mir geht es um die Darstellung, dass es losgelöst vom Einzelschicksal ein abstraktes Rechtsproblem mit einer ganzen Reihe von Implikationen gibt, über die sich sachlich zu diskutieren lohnt ohne die vorentscheidende Überlagerung mit moralischen Kategorien oder Verständnis zu Fluchtgründen. Die Mitwirkung an fachlichen Diskussionen und natürlich auch der sachlichen Meinungsbildung in der Öffentlichkeit ist gelebte Aufgabe eines jeden Berufsstandes.

Ich persönlich habe großes Verständnis für Fluchtmotive und Geflüchtete, von denen ich viele auch ab 2015 beraten habe. Die Verklammerung des Marsches durch die Wüste und dem Spießrutenlaufen im Stadion im Kommentar von Christian Spiller, mehr noch die Deutung, dass alle einspruchsführenden Vereine das politische Signal aussenden würden, er dürfe gar nicht hier sein, die Einsprüche seien also latent rassistisch determiniert, ist aber aus zwei Gründen mehr als bedenklich.

Die Übernahme der Deutungshoheit für das, was die Einsprüche „tatsächlich bedeuten“, erinnert mich als Erstes an Sascha Lobos wunderbaren Begriff des Entwederoderismus:

Ich nenne diese Entwicklung Entwederoderismus, und das ausgezeichnet sperrige Wort transportiert schon den größten Teil des Inhalts. Aber nicht alles, denn es geht über die bekannte Schwarz-Weiß-Malerei hinaus.

Die Essenz des Entwederoderismus: Wann immer Kritik an einer Position geäußert wird, wird sie als Parteinahme der radikalstdenkbaren Gegenposition betrachtet. Wer den Internet-Mob nach dem Silvestermob von Köln kritisiert, wird quasi der Mitvergewaltigung bezichtigt. Wer Rassismus gegen Flüchtlinge anprangert, muss automatisch den Untergang des Abendlandes herbeisehnen. Es ist also nicht bloß die Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß und die Negation der Zwischentöne, es ist auch die aggressive Unterstellung, dass hinter jedem Wort und jedem Satz in Wahrheit nichts als Parteinahme stehen kann.

(SPIEGEL ONLINE vom 16.3.2016 https://www.spiegel.de/netzwelt/web/hass-im-internet-entwederoderismus-die-sprache-der-wut-a-1082563.html)

Die schlichte Frage, ob man zum Erwerb einer Spielberechtigung möglicherweise lügen darf und zwar unabhängig davon, ob man Max Müller heißt und vielleicht in Österreich wegen Dopings gesperrt ist oder man aus einem Staat Afrikas kommt, wird mit großen Sprachbildern zum Stellvertreterkonflikt über Migration und „Fairness“, der sich vom Ursprung völlig löst und in dem zwischen Solidarität und Anfeindung keine Raum für differenzierte Positionen bleibt.

Zweitens ist die Position selbst diskriminierend. Es macht nämlich Jatta oder Daffeh, dessen Biografie und Motive wir gar nicht kennen, zu einem Rollenvertreter eines Flüchtlings, der unseres Schutzes bedarf und den wir deswegen von der Beachtung von Regeln dispensieren. Art. 3 Abs. 3 unseres Grundgesetzes enthält aus gutem Grund das Verbot der Benachteiligung, aber auch der Bevorzugung wegen der Abstammung oder der Rasse, weil bereits die Unterscheidung wegen der Abstammung oder Rasse stigmatisiert, das Ungleiche betont. Man mag sich selbst fragen, ob man nach einem groben Foul eines Spielers mit Migrationshintergrund eine Diskussion möchte, ob das Foul ein Beleg für erhöhte Gewaltbereitschaft bei dieser Gruppe von Menschen sei. Die Diskussion würde zurecht als absurd und diskriminierend empfunden. Warum führen wir diese Stellvertreterdiskussion hier?

Die Überhitzung der Diskussion vom ersten Tag an drängte Jatta, aber auch den HSV, in eine Verantwortung gegenüber der Diskussion über den Status von Geflüchteten, aus der heraus eine sachliche Beurteilung und Entscheidung zumindest erschwert wird. Das wird aber nicht zuletzt dem Spieler selbst nicht gerecht, dem ich am Ende eine positive Entscheidung auf gesicherter Tatsachengrundlage wünsche. Die Verklammerung eines möglichen Regelverstoßes mit einer Fluchtbiografie darf aber auf keinen Fall zu einer Tabuisierung des Austausches von Argumenten führen.

Und zuletzt noch was zum VfL Bochum 1848.

Es gab Beteiligte in der Berichterstattung, denen die Feststellung wichtiger war, dass ich keinen der Redakteure, die Kontakt mit mir aufgenommen haben, aufgeklärt hätte, dass ich bis 2012 Mitglied des Ehrenrates des VfL Bochum 1848 gewesen bin. Das nämlich würde mich – so das Hamburger Abendblatt online am 27.8.2019 – klar befangen machen und mit meiner Meinung stünde ich ohnehin allein da.

Über die Meinung meiner Kollegen mag sich jeder selbst ein Bild machen, zum Beispiel bei der LTO. (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bakery-jatta-sportrecht-arbeitsrecht-konsequenzen/).

Der erste Artikel in der 11 Freunde mit meiner seitdem unveränderten Bewertung erschien zudem, wie auch der vorstehende Artikel in der LTO, am 13.8. zu einem Zeitpunkt, als der VfL Bochum beim HSV weder gespielt noch verloren und noch weniger Einspruch eingelegt hatte. Soll ich da schon befangen gewesen sein?

Der VfL Bochum 1848 ist mir leider in den letzten Jahren so fern geworden, dass ich seit 2012 weder Amt noch Dauerkarte habe und lediglich ein Spiel gesehen habe. Der VfL ist meine Vergangenheit und meine Privatsache. Wenn mich der Redakteur im Telefonat aber danach gefragt hätte, hätte ich ihm auch dazu gerne Auskunft gegeben, wie ich jedem antworte, der mich nach meiner Meinung fragt.  Aber auch das gehört zu den gegenwärtigen Albernheiten der öffentlichen Diskussion, dass man gerne die Person versucht zu diskreditieren, mit deren Sachargument man sich nicht auseinander setzten möchte.  Entwederoderismus. Sascha Lobo.

Ich freue mich im Übrigen auf das Heimspiel VfL Bochum gegen den FC Bayern München im Pokal. Schreib ich jetzt schon. Wenn mich da einer sieht. Wegen befangen und so ….