Zur WADA CRC Empfehlung bezüglich RUSADAund der russischen Doping Krise

Das WADA Exekutiv Committee wird am 9.12.2019, auf den Tag genau drei Jahre nachdem Prof. Richard McLaren den zweiten Teil seines Reportes über weitverbreitetes Doping in Russland vorgelegt hat, entscheiden, ob es der Empfehlung des WADA Compliance Review Committee (CRC) folgen wird. Dies hatte vorgeschlagen – verkürzt – Russland, seine Athleten, seine Regierungsvertreter und seine Verbandsvertreter für die Dauer von vier Jahren vom organisierten Weltsport auszuschließen und die Athleten nur dann für einzelne Wettkämpfe zuzulassen, wenn diese u.a. beweisen, dass niemand die über sie im Doping Labor in Moskau gespeicherten Daten manipuliert hat. 

Das ist die gleiche Herangehensweise, mit der zu Recht das IOC in den beiden Verfahren gegen den ehemaligen Sportminister Mutku und die russischen Athleten vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS)  in Lausanne, in dem Verfahren gegen Alexander Legkov sogar vor dem schweizerischen Bundesgericht krachend gescheitert ist. Sie ist offenkundig rechtswidrig, wenn nicht sogar willkürlich und entlarvt eher die im Kampf gegen Doping vorherrschende Doppelmoral, als dass sie die Glaubwürdigkeit stärken könnte. Die leidtragenden sind am Ende wieder die Athleten, die zu schützen der Sport behauptet. 

Um es vorweg zu nehmen: Die vieltausendfache Manipulation von Daten aus dem Laboratory Information Management System (LIMS) des Moskauer Doping Labors ist nicht nur nicht zu entschuldigen, der Dilettantismus, mit dem die Verantwortlichen vorgegangen sind, macht vielmehr sprachlos.  

Genauso sprachlos macht aber der Versuch der WADA eine bereits gescheiterte Strategie wiederzubeleben. In der Kriminologie ist die Tatsache gut untersucht, dass eine Erhöhung der Strafandrohung nicht zu einer Verminderung der Fallzahlen führt. Dennoch ist das oft das Mittel der Wahl, mit der der Autoritäten auf nicht erwünschte Entwicklungen in der Kriminalitätsentwicklung reagieren. Strafe hoch. Kostet nichts, nützt aber auch nichts, ist nur ein schönes Signal an die Öffentlichkeit. Spricht man mit Straftätern, ist die Abwägung eine andere: Wie hoch ist das Risiko der Entdeckung und welchen Nutzen habe ich aus der Tat?

Das gilt auch im Bereich des Dopings. Robert M. Goldmann befragte seit 1982 immer wieder Spitzenathleten ob sie bereit wären Doping anzuwenden, wenn sie fünf Jahre unentdeckt an der Spitze des Sports stehen, danach aber sterben würden. Mehr als 50 % antworten mit ja. Obwohl die Strafe, der Tod, die höchstdenkbare ist, hat sie keinen negativen Motivationsanreiz, weil das Risiko der Entdeckung ausgeschaltet, der persönliche Nutzen aber hoch ist. Das Goldmann Dilemma.

Wer auch immer sich zu der völlig unsinnigen Fälschung von Daten noch im Jahr 2019 hat hinreißen lassen, zeigt vor allem eins: Die Strategie des zeitweisen Ausschlusses der RUSADA , der Ausschluss einer Vielzahl russischer Athleten, deren Unschuld zum Teil in Verfahren vor dem CAS und dem schweizerischen Bundesgericht bewiesen war, und des Ausschlusses der russischen Flagge und der Hymne von den Spielen in Rio und Südkorea ist gescheitert. Der RUSADA erteilt die WADA ein gutes Zeugnis, dennoch werden Sanktionen verhängt.

Dennoch, die Öffentlichkeit reagiert in einem pawlowschen Reflex und fordert die gleichen Strafen erneut mit längerer Laufzeit, im Ergebnis eine Straferhöhung. Der Umstand, dass sich ausgerechnet Travis Tygart, der USADA Chef, hier besonders hervortut, verursacht ein gewisses Störgefühl. US amerikanische Athleten hatten vor RIO 2016 in großem Umfang Therapeutic Use Exemptions verwendet, verbotene Substanzen mit abgelaufenen TUE oder auch ohne TUE verwendet. Interner Email Verkehr der USADA dokumentiert, dass die Praxis bekannt war, aber nicht unterbunden wurde. Auch die großen Ligen in den USA haben sich bisher nicht dem WADA Code und der USADA unterworfen, die das hinnimmt. Non compliant? Fehlanzeige.

Das WADA CRC folgt dem Druck und empfiehlt genau das. Gleiche Strafe wie bisher, nur schärfer. Vier Jahre. Kostet nichts, hilft nichts, ist aber ein schönes Signal – und ist vor allem rechtswidrig.

Prof. McLaren hat stets betont, dass sein Report nicht dazu gedacht und auch nicht dazu geeignet ist, Sanktionen gegen einzelne Athleten zu verhängen[1]. Der CAS hat in der bis heute vom CAS selbst nicht veröffentlichten Entscheidung CAS 2017/A/4968 Legkov v. International Ski Federation (FIS) gleichfalls festgestellt, dass der Report zwar einige Verdachtsmomente enthalte, die aber für eine Verurteilung auf keinen Fall hinreichend seien[2]. Die Sportler wurden später vom CAS freigesprochen[3]. Das Schweizerische Bundesgericht hat das Urteil in einem bislang einmaligen Beschwerdeverfahren auf den Antrag des IOC bestätigt[4].

Prof. Mclarens report, das stellten die Richter des CAS fest, fehlte es an „checks and balances“, die im wissenschaftlichen Betrieb erforderlich und üblich sind. Unter anderem hat er sich auf in seinem Urteil auch auf Tagebucheintragungen von Grigory Rodchenkov bezogen, ohne die Echtheit zu überprüfen. Rodchenkov gab in seiner Zeugenvernehmung zu, Einträge verfälscht und anderen später einen anderen Sinn gegeben zu haben.

Das rechtskräftig als untauglich bewertete Beweismittel, der McLaren report, wird durch die Empfehlung des WADA CRC erneut zum Maßstab der Zulassung russischer Athleten zu Wettkämpfen. Wer darin genannt ist, ist raus, auch wenn er bereits zwei Jahre seiner Karriere verloren hat, bis er trotz seiner Nennung im McLaren report letztinstanzlich von jedem Verdacht freigesprochen wurde. Das ist verblüffend.

Abgesehen davon, dass mit der Empfehlung der WADA CRC die selbst im WADA code enthaltene Beweislastverteilung[5] in ihr Gegenteil verkehrt wird und alle unter Generalverdacht gestellten Russischen Athleten ihre Unschuld zu beweisen haben, soll weiteres Kriterium sein, dass die Athleten nachzuweisen haben, dass keine ihrer Daten manipuliert wurden[6].

Eine, wenn nicht die wesentliche Essenz des Urteils Alexander Legkov v. International Olympic Committee (IOC) CAS 2017/A/5379, um die die Verteidigung seit der vorläufigen Suspendierung fast zwei Jahre mit unterschiedlichen Panels gerungen hat, ist dies:

para 799. Nach Ansicht des Panels kann ein Athlet nur für das Ersetzen ihres Urins durch eine andere Person haftbar gemacht werden, wenn: (a) der Athlet eine Handlung begangen oder Unterlassung begangen hat, die diese Substitution erleichtert; und (b) sie haben dies mit tatsächlicher Kenntnis der Wahrscheinlichkeit gemacht, dass diese Substitution stattfindet. Nur ein Athlet, der selbst eine Handlung vornimmt, die dazu beiträgt, dass seine Urinprobe später durch eine andere Person ersetzt wird und der wusste oder hätte wissen müssen, dass eine solche Substitution wahrscheinlich ist, ist schuldig. 

Der Athlet haftet weder für seine Probe nach der Abgabe an die Anti Doping Organisation noch für seine dort gespeicherten Daten. Die Rechtsprechung ist eindeutig. 

Dennoch, das WADA CRC will alle Athleten ausschließen, deren Daten verfälscht wurden. Das WADA CRC behauptet noch nicht einmal, dass Grund der Verfälschung die Verschleierung von Doping durch Athleten ist. Vielmehr diente die Manipulation in 11.227 (!) Fällen nur der „Identifikation und der Löschung von 25 (!) hoch belastenden E-Mails“[7], also der Verschleierung der Datenmanipulation selbst, an der unstreitig weder die Athleten noch die RUSADA mitgewirkt haben. Möglicherweise tausende saubere Athleten raus, weil jemand zufällig oder absichtlich ihre Daten ohne Wissen und Wollen manipuliert hat? 

Ist das fair? Es ist Willkür.

Und auch dies ist bemerkenswert:

Das CRC schlägt vor, dass Vertreter der russischen Regierung für die Dauer von 4 Jahren davon ausgeschlossen werden sollen, an internationalen Sportereignissen teilzunehmen oder diese zu besuchen[8]. Dafür dürfte es an jeder Rechtsgrundlage fehlen, wie auch die WADA spätestens seit der Entscheidung CAS 2017/A/5498 Vitaly Mutko v. IOC vom 3. July 2019 wissen sollte. Sowenig, wie Rule 44 und 59 der Olympic Charta auf Regierungsvertreter anwendbar sind[9], so wenig gehört der russische Staat zu den Unterzeichnern des WADA Code und hat sich daher nicht der Strafgewalt der WADA unterworfen. Deren Sanktionsgewalt beschränkt sich darauf, den russischen Vertretern die Positionen in der WADA zu entziehen und internationale Veranstaltungen in dem Land zu verbieten[10].

Alles, was als „Sanktion“ darüber hinaus ginge, richtetet sich allenfalls an die Unterzeichner des WADA Codes. Folgerichtig wären diese, also IOC und internationale Verbände, „non compliant“, wenn sie den Besuch einer internationalen Veranstaltung durch einen russischen Regierungsvertreter nicht aktiv verhindern oder sogar dulden. Wie das aber gehen soll, bleibt schleierhaft, aber wir dürfen mit Spannung erwarten, wenn der russische Präsident Vladmir Putin zu Recht einem EM Spiel in St. Petersburg beiwohnt oder die Olympischen Spiele in Japan besucht, meinetwegen mit einer gekauften Karte, und daraufhin IOC und UEFA von der WADA suspendiert werden müssten. Sie wären mit der Entscheidung des Executiv Committee nicht compliant. Nicht die Regierungsvertreter.

Sprachlos macht aber auch der Versuch der WADA, die beiden eigenen Kronzeugen Grigory Rodchenkov und Tim Sobolevsky von dem Verdacht frei zu sprechen, sie hätten Daten in dem System manipuliert, um Geld von Russischen Athleten abzunötigen[11]. Die Behauptung, dieser Verdacht ergebe sich nur aus den Vorhaltungen der russischen Seite, ist nichts weniger als Geschichtsfälschung. 

Spätestens seit der Ikonisierung von Rodchenkov durch den Film „Ikarus“ wird gerne vergessen, was noch im 1. Bericht der Independent Commission[12] der WADA unter Dick Pound als Ergebnis der Ermittlungen fest stand und Darya Pishchalnikova[13] bereits im Dezember 2012 zunächst vergeblich bei der WADA anzeigte: 

Grigory Rodchenkov stand nicht nur im Zentrum des Doping Systems, er verlangte von den Athleten für die Verschleierung der positiven Doping Befunde Geld und bekam es. Das war nicht nur ein Doping Verstoß. Das ist so ziemlich in jedem Land einschließlich Russland strafbar. Selbst Ikarus verschweigt nicht, dass Rodchenkov nicht Russland verlassen hat, um der Weltöffentlichkeit die Wahrheit zu offenbaren, sondern aus Furcht vor Strafverfolgung in Russland. Zum „whistleblower“ machten ihn später erst die Medien.

Dass Julia Stepanova und ihr Mann Vitaly am 15.10.2019 bei der „play the game“ Konferenz in Colorado darüber geklagt haben, dass Rodchenkov und Portugalov in menschenverachtender Weise gegeneinander gewettet haben, wessen besser gedopter Athlet besser abschneide, ist eine Äußerung, die den Weg leider nicht in die Medien gefunden hat, so wenig wie der Satz von Vitaly über Rodchenkovs Geschichte: „Wenn du die Wahrheit ruinieren willst, dehne sie.“ Und auch, dass Don Catlin, lange Zeit Kollege und Freund von Grigory Rodchenkov, sich von ihm abgewandt und ihn und seine angeblichen lauteren Motive deutlich kritisiert hat[14], bleibt gerne unbeachtet. 

Das klingt alles sehr nach Doppelmoral.

Im Urteil des CAS ist noch zu lesen: Die Aussage von Dr. Rodchenkov ist eine reine Behauptung, die durch keinen Beweis unterstützt wird[15]. Sie wird durch keine weiteren Beweise, einschließlich forensischer Beweise, bestätigt und liefert keine Beweise für die Verwendung einer verbotenen Substanz oder eines Anti Doping Verstöße durch die Athleten. Das Urteil setzt sich in seinen Gründen intensiv mit jenen Punkten auseinander, in denen Rodchenkov offenkundig falsche Angaben machte, in seiner Vernehmung hat er mal phantasiert und mal offenkundig gelogen und zugegeben, Tagebuchenträge verfälscht zu haben. Welch Hohn, dass in den USA eine Anti Doping Gesetz seinen Namen tragen soll, und Brian Fogel ihn, nicht die gleichzeitig anwesenden Eheleute Stepanov, als „größten Whistleblower der Geschichte“ bezeichnet[16] und fabuliert, wie Rodchenkov angeblich ihm, Fogel, aus Sochi morgens um 4 E-Mails geschrieben haben soll – zu einem Zeitpunkt im Februar 2014, zu dem die beiden sich noch gar nicht gekannt haben sollen. Keiner weist ihn zurecht, weil die Geschichte längst zum nützlichen Narrativ geworden ist. 

Es gehört auch zum allgemeinen Sprachgebrauch von einem „staatlichen“ Doping System zu sprechen, Beweise aber, dass ein Mitglied der Regierung oder ein Mitarbeiter eines Ministerium nicht aus krimineller Gewinnsucht, sondern eben als Teil des Regierungshandelns an dem System beteiligt war, gibt es bis heute nicht. Weder Prof. McLaren, noch die Schmid Commission haben dafür unabhängige und unparteiisch gewonnene Beweise festgestellt[17].

Auch der Vorhalt des WADA CRC, es seien aus den Daten Beweise dafür gelöscht worden, dass ein anderer Mitarbeiter an dem Verschleierungssystem beteiligt gewesen[18], ist ein Vorwurf, der die WADA genauso trifft. In allen Dokumenten und E-Mails, die Prof. McLaren im Evidentiary Disclosure Package veröffentlicht hat, die die WADA der Schmid Commission des IOC und dem CAS zur Verfügung gestellt hat, war stets ein Name geschwärzt, um dessen Beteiligung zu verschleiern, andere hingegen zu belasten. Wir durften schon früh darauf schließen, dass es sich mutmaßlich um Tim Sobolevsky handelte, der, wie auch Grigory Rodchenkov, in den USA lebt und dort auch wieder in einem Anti Doping Labor arbeiten kann. Vermutlich der einzige Fall in der Geschichte der WADA, in dem „substantial assistance“ bei der Aufklärung eines Doping Verfahrens tatsächlich zu Straferleichterung für den Verdächtigen geführt hat. 

Auch der Vorwurf klingt nach Doppelmoral.

Die Integrität von Beweismitteln ist ein hohes Gut. Das zu schützen ist wichtig, so wichtig, dass der Schutz von allen Beteiligten verlangt werden muss, nicht nur von der RUSADA. Der Verteidigung im Verfahren Alexander Legkov v. International Olympic Committee (IOC) CAS 2017/A/5379 wurden vom IOC entlastendes Beweismaterial vorenthalten, das frühzeitig die Unschuld hätte beweisen können[19] . Das IOC hatte zudem fälschlich die Existenz belastenden Beweismittel behauptet. Ob aus Absicht, oder Nachlässigkeit, wie das IOC angibt, sei dahingestellt.

Die WADA hat bis heute keinen Verdacht, dass die chain of custody aus dem Laboratorium in Sochi 2014 verfälscht sei, die allerdings beweist, dass die angeblich während der Nachtzeit von russischen Laborpersonal ausgetauschten Proben tatsächlich tagsüber eintrafen und von internationalem Personal zum Teil in 90 Minuten verarbeitet wurden. Dass IOC und WADA diese Erkenntnisse nicht bewertete und der Verteidigung diese Daten nicht zugänglich gemacht haben, ist gleichfalls eine Verletzung der Integrität von Beweismitteln. IOC und WADA non compliant? Hat keiner gefragt. 

Bereits in der Anwendung der International Standards, die Grundlage der Intervention sind, ist die WADA inkonsistent.

Der internationale Standard für die Einhaltung des Code durch die Unterzeichner ist ein verbindlicher Internationaler Standard, der einen wesentlichen Bestandteil der Welt-Anti-Dopingstrategie bildet.

Art. 1 lautet: Die Unterzeichner des World Anti-Doping Code (der Code) verpflichten sich zur Einhaltung der folgenden Bestimmungen mit einer Reihe von rechtlichen, technischen und betrieblichen Anforderungen, die festgelegt werden im Code und in den begleitenden International Standards.

Die Athleten, von denen „strictest liablity“ verlangt wird, sind gut beraten sich unbedingt an jedes Detail der International Standards bei der Doping Kontrolle zu halten, anderenfalls schwere Sanktionen drohen. Auch der World Anti-Doping Code International Standard for Testing and Investigations (ISTI) beginnt mit den Worten, dass er ein verpflichtender Teil des WADA code ist. Es war deswegen nicht wenig verblüffend, als Stuart Kemp als Vertreter der WADA im hearing im Verfahren gegen Sun Yang am 15.11.2019 ausführte, die Beachtung sei für die WADA und die Anti Doping Organisationen nicht verpflichtend, sondern lediglich „guidelines and models of best practice“. Also eher eine Diskussionsgrundlage.

Unstreitig konnten sich zwei der drei Dopingkontrolleure entgegen 5.3.3. ISTI nicht ordnungsgemäß ausweisen und verfügten offensichtlich nicht über die für die Probenentnahme notwendige Qualifikation. Die Probe wurde nach Rücksprache mit dem Leiter der lokalen Anti Doping Agentur Dr. Han Zhaoqi abgebrochen. Die FINA hatte den Athleten zu Recht freigesprochen. Die WADA verlangte hingegen dessen Sperre mit der Begründung, er hätte den Regelverstoß durch die Kontrolleure hinnehmen müssen. Ist das fair zwei Adressaten, WADA und Athlet, des gleichen Regelwerks unterschiedlich zu behandeln? Für denen einen ist sie verbindlich, für den anderen nicht? Es ist nicht fair, aber es ist Alltag für Sportrechtler.

Was ist Sport?

Das Wesen des Sports liegt darin, unter normierten Ausgangsbedingungen, die in der Gesamtheit der Regeln zum Ausdruck kommen, den Sieger eines Wettbewerbes zu ermitteln. Regelbeachtung ist dem Sport immanent. Fairness ist die stillschweigende Vereinbarung, sich an die Regeln zu halten und sich keinen unerlaubten Vorteil zu verschaffen. Wenn jemand dopt, verschiebt er die Ausgangsbedingungen zu seinen Gunsten. Aber Ausgangsbedingungen definieren sich durch die Gesamtheit der Regeln, die nicht von unterschiedlichem Wert, sondern von gleichem Wert sind. Dazu gehören auch die Regeln, die den Athleten ein faires, rechtsstaatliches Verfahren garantieren und in dem alle Athleten ohne Ansehung Ihres Geschlechts, Ihrer Rasse und ihrer Nationalität gleichbehandelt werden. 

In Russland hat Grigory Rodchenkov über lange Zeit hinweg – aufgrund welcher Motivation auch immer – vielen russischen Athleten einen verbotenen Vorteil verschafft. Die sind zum Teil entdeckt, zum Teil möglicherweise noch nicht. Athleten außerhalb Russlands fühlten sich nach der Aufdeckung dieses und anderer Skandale zu Recht benachteiligt, weil sie engmaschig kontrolliert wurden, gleichzeitig aber unterstellten, dass Ihre Konkurrenten weniger getestet und deswegen unerlaubte Vorteile hätten. Mann kann aber diese Ungleichbehandlung nicht dadurch kompensieren, dass jetzt russische Athleten unter Generalverdacht gestellt werden und einen rechtwidrigen Wettbewerbsnachteil erleiden. Es gibt keine schlechte oder gute Ungleichbehandlung. 

Die auf Immanuel Kant zurückgehende Trennung von Moralität und Legalität ist eine große Errungenschaft in der Entwicklung moderner Gesellschaft. Diese Trennung ist aber im Doping völlig überwunden. Die durch den in der jeweiligen peergroup gewonnenen Konsens begründete Moral, die Überzeugung, für die richtige Sache einzutreten, legitimiert das Handeln. Nicht die Rechtskonformität und auch nicht das Verfahren. Jeder aber merkt, dass damit das System unglaubwürdig wird.

Der vermeintliche Kampf des Sports gegen Doping in Russland ist zu einem Narrativ geworden oder war es von Anfang an. Die Art und Weise des Umgangs damit schadet dem Kampf gegen Doping überhaupt. Das Narrativ wird in einer Kakophonie der täglichen Empörung von Medienvertretern und Stakeholdern unterschiedlicher Interessen am Leben gehalten, deren Leitthema, manchmal auch deren einziges Thema genau dieser oder ein anderer Doping Skandal ist und die sich gegenseitig überbieten, nach immer schärferen Strafen zu verlangen. Gegenüber der damit erzeugten Erwartungshaltung muss jedes besonnene, möglicherweise freisprechende Urteil defizitär und „ungerecht“ wirken, als Ausdruck fehlender Bereitschaft, Dopingsünder zu bestrafen. 

Falsch ist aber nicht das Urteil, sondern die unbegründet überzogene Erwartungshaltung. Die provozierte Enttäuschung erzeugt einen Glaubwürdigkeitsmangel gegenüber dem gesamten System, auch bei den Athleten selbst, die ihre Konkurrenten „zu Unrecht“ freigesprochen sehen. Ein inkonsistentes und unglaubwürdiges System wird nicht als verbindliche Sollens Ordnung akzeptiert. 

Was notwendig ist, ist ein System, dass nicht die Interessen der um Autorität konkurrierenden Verbände in den Mittelpunkt stellt, sondern die Athleten. Ein System, dass für alle gleichermaßen gilt und dass die Rechte der Athleten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren garantiert. Nicht nur strict liablity für die Athleten, sondern auch die strikte Konformität der Anti-Dopingorganisationen. Und keine weitere Ungleichbehandlung.


[1] “The IP is not a Results Management Authority under the World Anti-Doping Code (WADC 2015 version). The mandate of the IP did not involve any authority to bring Anti-Doping Rule Violation (“ADRV”) cases against individual athletes. What was required is that the IP identify athletes who might have benefited from manipulations of the doping control process to conceal positive doping tests.

Accordingly, the IP has not assessed the sufficiency of the evidence to prove an

ADRV by any individual athlete”. McLaren report part II page 18.

[2] CAS 2017/A/4968 Legkov v. International Ski Federation (FIS), para 232 https://wieschemann.eu/cas-award-in-case-alexander-lekgov-v-fis-published/

[3] Alexander Legkov v. International Olympic Committee (IOC) CAS 2017/A/5379 , http://www.tas-cas.org/fileadmin/user_upload/Award__5379__internet.pdf

[4] International Olympic Committee vs. Alexander Legkov 4A_382/20181 Judgment of January 15, 2019

[5] Art. 3.1 Burdens and Standards of Proof: The Anti-Doping Organization shall have the burden of establishing that an anti-doping rule violation has occurred.

[6] “and no data relating to their samples has been manipulated”

[7] https://apnews.com/c23ad4299574413d9d2643192c14ebe5

[8] “Russian Government officials/representatives may not be appointed to sit and may not sit as members of the boards or committees or any other bodies of any Code Signatory (or its members) or association of Signatories.

Russian Government officials/representatives may not participate in or attend any of the following events held in the Four Year Period: (a) the Youth Olympic Games (summer and winter); (b) the Olympic Games and Paralympic Games (summer and winter); (c) any other event organized by a Major Event Organisation; and (d) any World Championships organized or sanctioned by any Signatory (together, the Major Events).”

[9] CAS 2017/A/5498 Vitaly Mutko v. IOC vom 3. July 2019, para 60 et seq

[10] Art. 22.8. WADA code: “forfeiture of offices and positions within WADA; ineligibility or non-admission of any candidature to hold any International Event in a country, cancellation of International Events; symbolic consequences and other consequences pursuant to the Olympic Charter”

[11] „to support the argument now being advanced by the Russian authorities that it was Dr. Grigory Rodchenkov and two co-conspirators who falsified entries in the Moscow LIMS database as part of a scheme to extort money from athletes” – https://www.wada-ama.org/en/media/news/2019-11/wada-compliance-review-committee-recommends-series-of-strong-consequences-for

[12] WADA Independent Comission report #1, Chapter 13 and 16

[13] WADA Independent Person report, EDP1157

[14] “Grigory goes on to describe himself as the witch in the witch-hunt, and we agree with that notion in part as he was most likely not the mastermind behind this affair. Yet we are not ready to accept his absolution of guilt.” https://thecatlinperspective.wordpress.com

[15] Alexander Legkov v. International Olympic Committee (IOC) CAS 2017/A/5379, para 821.

[16] 15.10.2019 play the game session

[17] IOC´s Disciplinary Commission´s Report vom 2 Dezember 2017, Seite 14/30

[18] “deleted from the LIMS database important evidence proving that another laboratory staff member was involved in the cover-up of doping by Russian athletes in 2014 and 2015”.

[19] https://wieschemann.eu/how-prof-mclaren-wada-and-ioc-influenced-public-and-cas-court/