Der Bundesgerichtshof hat am 04.12.2021, daher einen Monat nach der Verkündung, die Begründung im Verfahren des FC Carl Zeiss Jena gegen den Deutschen Fußballbund (BGH, Beschluss vom 04.11.2021- I ZP 54/20-OLG Frankfurt am Main) vorgelegt.

Für einen auch rechtswissenschaftlich tätigen Rechtsanwalt sehr erfreulich ist natürlich der Umstand, dass der BGH auch meinen Aufsatz (Wieschemann, Schuld und Sühne – Die Haftung der Fußballvereine für das Verhalten ihrer Anhänger in KSzW 2013, 268 ff.), selbstverständlich neben anderen Quellen, sehr ausführlich diskutiert und mehrfach zitiert hat.

Ich halte das Ergebnis des Verfahrens für unzutreffend, in jedem Fall allerdings die Begründung für unbefriedigend und das nur zum Teil aus Gründen, die bereits in der Vergangenheit Gegenstand meines Beitrages zur rechtswissenschaftlichen Diskussion des Problemfeldes waren.

Unbefriedigender ist, dass, ähnlich dem regelsetzenden Verband, der BGH sich mit der schlichten Feststellung begnügt, dass der Zweck der Verbandsstrafen „zukunftsbezogen“ sei und damit allein präventiven Zwecken dienen (Randnummer 32).

Der BGH verkennt nicht, dass ein mögliches in der verhängten Geldstrafe enthaltenes Unwerturteil gegen die Anhänger gerichtet ist und die Geldstrafe zwar an den Verein adressiert sei, sich in der Sache aber gegen die für Störung verantwortlichen Anhänger richtet.

                „Die Sanktion ist gerade nicht verhängt worden, weil die Antragstellerin Vorgaben zur des Antragsgegners zu Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten hätte, sondern weil diese Maßnahmen im Falle der Anhänger der Antragstellerin nicht ausgereicht haben, um einen störungsfreien Spielbetrieb zu ermöglichen. Mit der Sanktion wird keine Zuwiderhandlung der Antragstellerin gegen verbandsrechtliche Vorgaben geahndet, sondern ein Anreiz gesetzt, zukünftig über diese Vorgaben hinausgehenden Maßnahmen zu treffen“ (Randnummer 33).

Die Entscheidung hätte dazu herausgefordert, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob

  1. Tatsächlich allein aus der Tatsache, dass es zu „unsportlichem Verhalten“ der Anhänger eines Vereines kommt, darauf geschlossen werden darf, dass die von dem Verein unternommenen Maßnahmen unzureichend waren und
  2. ob mit Maßnahmen des Vereins – gleich welcher Art – zuverlässig und lückenlos auf die Willenserschließung seiner Anhänger überhaupt eingewirkt werden kann.

Die verbandsgerichtliche Rechtsprechung begnügt sich gleichermaßen mit dem Zirkelschluss, dass alleine die Tatsache von Regelausschreitungen der Fans den Nachweis dafür liefern, dass die Bemühungen des Vereines unzureichend gewesen sein, ohne aber  solche Maßnahmen zu benennen. Auch der BGH wiederholt stereotyp, dass es sich um einen Anreiz handeln würde, „effektivere“ Maßnahmen zu ergreifen, ohne sich mit Erwägungen darüber überhaupt auseinanderzusetzen.

Der DFB und auch der BGH verkennen, dass das Maß der vom Verein geschuldeten Sorgfalt zumindest in den hier interessierenden Fällen u.a. im Anhang VI zur Lizensierungsordnung auf 100 Seiten durch den rechtsetzenden Verband selbst bestimmt ist. Ein Verstoß hiergegen mag mit Sanktion belegt werden. Eine Beachtung dieses Sorgfaltsmaßstabes und damit normenkonformes Verhalten auf Seiten der Vereine schützt diese in der Regelauslegung des DFB allerdings nicht vor zukünftiger Strafe. Wenn alleine die Tatsache des unsportlichen Verhaltens der Anhänger als Nachweis dient, dass der Verein „nicht genug“ getan habe, wird es dauerhaft an einer Definition fehlen, was denn „genug“ sei. Der Sorgfaltsmaßstab dehnt sich ins uferlose aus.

Der BGH (Randnummer 45) hält zwar ein ausgefeiltes System präventiver Auflagen für denkbar, meint aber, die verschuldensunabhängige Haftung könne die Vereine ebenso dazu anhalten, solche Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn es an einer entsprechenden Anordnung des Verbandes fehlt.

Die Auffassung und auch insbesondere die vom BGH verwendete Terminologie „verschuldensunabhängige Haftung“ verkennt auch, dass es im Kern der Diskussion nicht um Ereignisse geht, dem ein „Verschulden“ nicht zugrunde liegt. Tatsächlich mag die Haftung der Vereine ein eigenes Verschulden nicht bedürfen. Objektiv beruht allerdings die Haftung der Vereine auf der Zurechnung fremden Verschuldens, nämlich des Verschuldens der Anhänger, deren Handeln seinerseits eine Willensentschließung zugrunde liegt, die sich bewusst gegen die in den Stadien geltende Rechtsordnung und gegen die Werteordnung des Fußballs auflehnt, möglicherweise sogar absichtsvoll gegen den Verein. Die Vereine sind sogar schutzlos gegenüber denjenigen, die sich bewusst gegen die Vereine und zu deren Schaden auflehnen.

Gerade weil der eigentliche „Täter“ nicht zwingend vernunftbegabt handeln wird, entzieht sich seine Tat, die sich möglicherweise gerade gegen die Einwirkungsmöglichkeiten des eigenen Vereines auflehnt, der Zurechnung sowohl im Hinblick auf die angebliche Unzulänglichkeit des Bemühens der Vereine, wie auch die Zurechnung des Verschuldens der Täter im Rahmen der Haftung der Vereine. Dann handelt es sich nämlich doch um eine verfassungsrechtlich unzulässige Zurechnung des Verschuldens dritter (vgl. auch Randnummer 23 der Entscheidung).

Am Ende scheint es der BGH für denkbar zu halten, dass angesichts der Handlungspflichten des gastgebenden Vereins zur Sicherung der Stadien, eine Inanspruchnahme des Gastvereins wegen des Verhaltens seiner Anhänger beu Auswärtsspielen unverhältnismäßig sein kann (vgl. Wieschemann, KSzW 2013, 268, 272.) konnte die Frage aber mangels entsprechender Feststellungen im Streitfall nicht entscheiden. Natürlich ist mir der Streitstoff im konkreten Fall unbekannt. Angesichts der sehr umfassenden Zuweisung von Handlungspflichten und Risiken von Fehlverhalten von Stadionbesuchern and den gastgebenden Verein in Art. 3 Absatz 2 des Anhangs VI zur LO (Stadionordnung) ist die Frage, wer der beiden Vereine dem Risiko näher ist und ein Scheitern der Bemühungen eher zuzurechnen ist, eher Rechtsfrage und weniger Tatsachenfrage.