Infektionen mit SARS-CoV-2 finden in Friseur Betrieben nicht statt.
Unternehmen des Friseurhandwerks waren im 1. und erneut im 2 „lockdown“ Gegenstand von Schließungsanordnungen durch die Coronaschutzverordnungen der Länder. Zumindest beim 2 Lockdown überraschte dies umso mehr, als dass der Bundesgesundheitsminister Spahn am 2.9.2020 noch erklärte, „mit dem Wissen von heute würde man keine Friseure mehr schließen“. Ein Versprechen, das genau drei Monate hielt. Welches Wissen im September im Ministerium verfügbar war, ist nicht veröffentlicht. Sicher kann man aber aus der Statistik der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) über meldepflichtige Berufskrankheiten und Berufsunfälle im Zusammenhang mit Covid-19 für 2020 entnehmen, in Friseurbetrieben kaum Infektionen mit SARS-CoV-2 stattfinden. Die Umsetzung der Arbeitsschutzstandards und die auf der Grundlage der Branchenstandards entwickelten Hygienekonzepte in den Friseurbetrieben wirken offensichtlich und beugen Infektionen vor.
Bis zum 31.12.2020 wurden der BGW nur 12 meldepflichtige Versicherungsfälle im Zusammenhang mit einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus gemeldet, 9 von Selbständigen und nur 3 von Beschäftigten. Im Verhältnis zu rund 330.000 Versicherten in rund 85.500 Friseur Betriebsstätten (Geschäftsbericht BGW 2018) ist das ein Anteil, der um ein Vielfaches unter jenem in der Gesamtbevölkerung liegt. Mit diesem Wissen gibt es keinen Grund, Friseure zu schließen.
Die BGW ist die gesetzliche Unfallversicherung für nicht staatliche Einrichtungen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege. Sie ist für knapp neun Millionen Versicherte in mehr als 656.000 Unternehmen zuständig.
Die BGW hat für die Mitgliedsbetriebe früh einen umfassen Handlungsleitfaden mit spezifischen Arbeitsschutzstandards, angepasst an die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregeln der DGUV, für das Frisörhandwerk entwickelt und regelmäßig überarbeitet.
https://www.bgw-online.de/DE/Home/Branchen/News/Friseure-Corona_node.html
Die BGW ermittelt jährlich die Anzahl der meldepflichtigen BK-Verdachtsfälle, die im BGW Magazin publiziert und auf der Homepage veröffentlicht werden. Im Zusammenhang mit eigenen Recherchen haben WIESCHEMANN Rechtsanwälte aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes die bisher unveröffentlichten Informationen über das Infektionsgeschehen angefragt und unverzüglich aus der Hauptverwaltung in Hamburg erhalten. Das Ergebnis verblüfft. Offensichtlich sind die Friseurbetriebe kein relevantes Infektionsumfeld und ihre Schließung zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung nicht erforderlich, eigentlich noch nicht einmal geeignet, weil mit der Schließung die Dynamik der Pandemie nicht beeinflusst werden kann. Dort finden Infektionen offensichtlich nicht statt.
Bisher waren Infektionsumfelder nur schlecht identifizierbar. Einwände in Normenkontrollverfahren unter Hinweis auf die Auswertungen des Robert Koch Institutes (RKI) waren nicht erfolgreich, weil die Gerichte regelmäßig, wenn auch mit schwacher Begründung, den Aussagewert der Lageberichte relativierten.
Aus dem Beschluss des OVG Münster vom 29.10.2020, 13 B 1586/20.NE, in einem vom Unterzeichner geführten Verfahren gegen die Schließung von Gaststätten:
Der Einwand der Antragsteller, das Infektionsumfeld „Gastronomie“ spiele gegenüber anderen Bereichen und insbesondere dem (rein) privaten Umfeld insgesamt eine nur untergeordnete Rolle,
in diesem Sinne auch VG Berlin, Beschluss vom 15. Oktober 2020 ‑ 14 L 422/20 ‑, juris, Rn. 21,
sodass schon aus diesem Grunde kein Bedarf an weitergehenden Schutzmaßnahmen bestehe, überzeugt angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens bei vorläufiger Bewertung nicht. Die in diesem Zusammenhang angeführten statistischen Daten des Robert Koch-Instituts beziehen sich auf bereits länger zurückliegende Zeiträume,
vgl. etwa Epidemiologisches Bulletin 38/2020 vom 17. September 2020, S. 6 ff., wo ein Datenstand von MItte August 2020 ausgewiesen ist; abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__blob=publicationFile,
in denen die Lage noch deutlich weniger dynamisch war, und dürften insoweit zumindest zum Teil zeitlich überholt sein. Hinzu tritt die zwischenzeitlich nochmals erhöhte Diffusität des Infektionsgeschehens. Nach der nachvollziehbaren Darstellung des Antragsgegners sind die nordrhein-westfälischen Gesundheitsämter (und damit in der Folge auch das Robert Koch-Institut) in der überwiegenden Zahl der Fälle oftmals nicht (mehr) in der Lage, zu rekonstruieren, wo der Ursprung einer Infektion im Einzelfall liegt. Entsprechend weist auch das Robert Koch-Institut selbst darauf hin, dass die Angaben zum Infektionsumfeld mit Zurückhaltung zu interpretieren seien.
Vgl. dazu Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19), Stand: 28. Oktober 2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-28-de.pdf?__blob= publicationFile.
Es drängen sich auch annähernd vergleichbar effektive Handlungsalternativen zu der Reduzierung von Kontakten jedenfalls nicht in einer Weise auf, dass allein diese in Frage kommen.
Soweit die Antragsteller darauf verweisen, dass für gastronomische Einrichtungen bereits weitreichende Hygiene- und Infektionsschutzstandards gelten (vgl. § 14 CoronaSchVO i. V. m. Ziffer I der Anlage zur CoronaSchVO), trifft dies zwar zu, ändert aber an den gleichwohl bestehenden Kontakt- und Aufenthaltsmöglichkeiten, die es nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers zu reduzieren gilt, nichts.
Es kann dahingestellt sein, ob diese Auffassung zutrifft, weil sie missachtet, dass die angesprochenen Defizite struktureller Natur und nahezu alle Infektionsumfelder gleichmäßig treffen, sodass aus dem relativen Anteil untereinander doch eine Risikobewertung möglich ist. Auch gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich die Infektionsumfelder im Verlauf der Pandemie wesentlich verändert hätten, was das Gericht unterstellt. Jedenfalls bleibt für solche Erwägungen angesichts der klaren Aussage der Statistik der BGW für das Infektionsumfeld Friseurbetrieb kein Raum.
Es ist zwar denkbar, dass nicht alle Infektionen im beruflichen Umfeld als solche erkannt wurden. Die Kundenbeziehung im Friseurhandwerk ist aber von besonderer Loyalität geprägt, sodass kaum eine zeitgliche Infektion von Friseur und Kunden unentdeckt und in nicht Verbindung gebracht werden könnte. Insbesondere unterstützt aber die Relation zu den Infizierten in anderen Infektionsumfeldern wie Kliniken und Pflegeinrichtungen, die den Angaben des RKI weitgehend entsprechen, die Zuverlässigkeit der Statistik und das geringe Dunkelfeld.
Im Ergebnis ist durch Arbeitsschutz- bzw. Infektionsschutzmaßnahmen nachweislich ein hoher Schutz gegen Übertragungen von SARS-CoV-2 Viren für Tätige und Kunden im Friseurhandwerk erreichbar. Die durch CoronaSchutzverordnungen angeordnete Schließung von Friseurbetrieben ist nicht geeignet und erforderlich. Für die Annahme, dass durch die Schließung Einfluss auf die Epidemie genommen werden könnte, fehlt es an jeder Rechtfertigung, dies zeigen die geringen Fallzahlen im Friseurhandwerk.