Das OVG Münster hat den Antrag von WIESCHEMANN Rechtsanwälte gegen die listenmäßige Erhebung von Kundenkontaktdaten vom 13.5.2020 durch Beschluss vom 23.6.2020 zurückgewiesen.
In der Pressemeldung weist das OVG darauf hin, dass die in der VO vorgesehene Datenerhebung sich in dem Hauptsacheverfahren als voraussichtlich rechtmäßig erweisen würde. Das Gericht führt aus, dass angesichts der inzwischen weitgehenden Öffnung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens es voraussichtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Verordnungsgeber die Kontaktdatenerhebung in bestimmten kontaktintensiven Bereiche als ‑ milderes Mittel ‑ nutze, um Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen. Das durch die Regelungen in erster Linie betroffene Recht auf informationelle Selbstbestimmung trete gegenüber dem Schutz von Leben und Gesundheit vorübergehend zurück.
In der noch nicht veröffentlichten Begründung schließt sich das Gericht hinsichtlich der Beurteilung der Epidemie der Auffassung des RKI weitgehend vorbehaltlos an. Der Antragssteller hatte dies kritisiert, weil das Institut Teil der Exekutive ist, dessen Auffassung zu kontrollieren, Aufgabe der Gerichte ist und die vom RKI vertretene Annahmen bereits widerlegt und zum Teil vom Institut selbst revidiert sind. Das Gericht unterstellt es zudem als gegeben, dass sich die Maßnahmen der Regierungen als wirksam erwiesen hätten. Dass die Bundesregierung in einer Antwort auf die kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE am 12.6.2020 einräumen musste, dass auch der Regierung keine wissenschaftlich abgesicherten Annahmen zur Wirksamkeit der Maßnahmen vorliegen https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/06/19_19244-Verh%C3%A4ltnism%C3%A4%C3%9Figkeit-Corona-1.pdf , war leider nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
Das Gericht erkennt zwar an, dass es auch wissenschaftliche Stimmen gibt, die das aktuelle Infektionsgeschehen anders beurteilen als das RKI und sogar die fortbestehende Gefährdungssituation vollständig verneinen, gesteht aber dem Verordnungsgeber einen weitgehenden Einschätzungsspielraum zu, welcher der Auffassung er den Vorzug gibt.
Der Antragsteller hatte hingegen kritisiert, dass angesichts der Dauer und der zwischenzeitlich vom RKI in Deutschland beobachtbaren Entwicklung die Beurteilung nicht mehr weitgehend auf hypothetischen Annahmen aus dem Zeitraum zu Begin der Epidemie im Ausland beruhen dürfe, sondern der konkreten Entwicklung Rechnung tragen müsse. Dem schloss sich das Gericht nicht an.
In rechtlicher Hinsicht sieht das OVG den Verordnungsgeber nicht gehindert sein Handeln weiter auf die Generalklausel in § 28 IfSG zu stützen, obwohl der Gesetzgeber seit Begin der Epidemie das Gesetz mehrfach geändert und notwendige Rahmenbedingungen bundeseinheitlich nach Auffassung des Antragsstellers hätte schaffen müssen und können. Auch bei der Ausgestaltung der konkreten Maßnahmen lässt das Gericht dem Verordnungsgeber weitgehende Freiräume, insbesondere schulde er nicht den Nachweis, dass der verfolgte Zweck tatsächlich erreicht werden kann, die Möglichkeit der Zweckerreichung genüge und auch mögliche Ungleichbehandlungen müssten angesichts der Folgenabwägung hingenommen werden.
Beide Parteien haben, was in einem Eilverfahren eher untypisch ist, mehrfach Schriftsätze gewechselt. Das Gericht hat sich bemüht den sehr umfangreichen Vortrag zu erschöpfen. Die Entscheidung ist dennoch getragen von den begrenzten Möglichkeiten einer nur summarischen Prüfung in einem Eilverfahren und dem als dynamisch empfundenen Geschehensablauf. Die VO wurde im Laufe des Verfahrens mehrfach geändert und hat auch aus der Sicht des Gerichts wohl kritische Formulierungen nachgebessert. Das Gericht stellt zudem heraus, dass die gegenwärtige VO nur bis zum 1.7.2020 gilt, was die Folgenabwägung beeinflusst.
Dass das Gericht dem Verordnungsgeber weitreichende Zugeständnisse bei der Beurteilung des Geschehens macht, die der tatsächlichen Entwicklung nicht immer gerecht werden, und ihm auch Freiraum bei der Ausgestaltung der konkreten Maßnahmen lässt, ist im Details möglicherweise zu beanstanden. Dennoch ist zu bemerken, dass im Laufe des Verfahrens die Landesregierungen zentrale Argumente des Antragsstellers bei der Art der Datenerhebung durch jeweilige Neufassung der VO entschärft hat. Auch der erste Eilantrag des Antragstellers gegen die Quarantänepflicht nach Rückkehr aus dem EU Ausland wurde durch Neufassung der CoronaReiseVO erledigt. Die Aufgabe dieser Verfahren liegt damit auch in der Herausforderung an den Staat sein Handeln zu begründen und sich im Ringen um das Recht weiter zu entwickeln. Bedauerlich ist aber, dass viele sich aus der Situation ergebenden Tatsachen- und Rechtsfragen in einem Hauptsacheverfahren kaum je mit der eigentlich gebotenen Tiefe geklärt werden können, weil mit der schrittweisen Aufhebung der Maßnahmen stets Erledigung der Verfahren eintritt.