Nach der Verurteilung von Alberto Salazar, dem Leiter des Nike Oregon Project findet sich in den Medien kaum ein Bericht, der nicht ausdrücklich eine Verbindung zu einem berühmten Sportler eines Landes hergestellt. In Deutschland steht angeblich Konstanze Klosterhalfen, die erst seit Beginn diesen Jahres in Oregon trainiert, „im schlechtesten Licht“, in den Niederlanden fällt angeblich ein Schatten auf Sifan Hassan, die am Samstag noch den 10.000 m Lauf in Doha gewonnen hat, in Großbritannien natürlich auf Mo Farah.
Dabei erwähnt das 140 Seiten starke Urteil der Amerikanischen Schiedsgerichtsvereinigung keinen dieser aktuell aktiven Athleten. Die untersuchten Vorgänge liegen bis zu acht Jahre zurück.
Was der konkrete Vorwurf gegen die Athleten sein soll, darüber schweigt sich die Medienlandschaft aus. Den Namen von Alberto Salazar dürfte kaum jemand kennen. Als „Lange Sperre für Klosterhalfens Chef“ wird daraus eine Schlagzeile. Die Verklammerung der Meldung über Salazar mit den Namen aktueller Athleten erhöht den Skandalwert. Im Subtext liest man die Intention mit. Wer mit einem Trainer arbeitet, der mit Doping in Verbindung gebracht wird, ist selbst des Dopings verdächtigt. Ist das fair? Nein – nur der Sound der läuft.
Man mag den Athleten vorwerfen, es sei naiv gewesen, die Medienreaktion im Falle der Verurteilung Salazars nicht vorhergesehen zu haben. Muss das allein aber einen Athleten davon abhalten im Project zu trainieren, selbst wenn er für sich in Anspruch nehmen darf, sauber zu sein? Natürlich nicht.
Die Athleten haben eher ein Recht auf Naivität, als andere, an deren Urteilskraft man höhere Anforderungen stellen muss – die aber bislang nicht in der Kritik stehen. Dabei offenbart eine Analyse des Urteils erstaunliches über die Beteiligung von Mark Parker, President und Chief Executive Officer von Nike, der ganz offensichtlich zumindest durch mehrere E Mails im Detail über die Versuche von Alberto Salazar und Dr. Brown nicht nur informiert war, sondern darauf auch erwiderte und Anregungen machte.
Nike kann sich zwar darauf berufen, dass die Versuche mit Testosteron nur dem Zweck dienten, ausschließen zu können, dass die eigenen Athleten durch testosteronhaltige Cremes nach einem Rennen sabotiert werden, denn davon geht auch AAA im Urteil aus. Eine vergleichbare unschuldige Erklärung für die Versuche mit L Carnitin könnte sein, dass Alberto Salazar angibt, dass er immer im Rahmen des WADA codes hätte handeln wollen.
Das wirft dennoch die Frage auf, ob ein Ausrüster und Sponsor im Spitzensport Versuche im Grenzbereich zum Doping oder gar im Doping fördern darf, ohne dass ihm eine Sanktion droht. Wahrscheinlich wird der Frage keiner nachgehen.
Nike ist Ausrüster des IOC seit 2012 und auch Sponsor und Ausrüster des DLV. IAAF ehrt den Hersteller zu dessen 50 jährigem Firmenjubiläum mit der Vergabe der Weltmeisterschaften 2021 nach Eugen, Orgeon, dem Gründungsort des Unternehmens. Wie sollte man diesen Sponsor sanktionieren, ohne sich selbst zu schaden? Zumindest darüber nachdenken muss man, sollte ein Unternehmen sich bereit zeigen, um des Erfolges und der Markenbildung Willen, Grenzen zu überschreiten, die im Sport verbindlich bleiben müssen.
Daran zeigt sich aber das Dilemma des Kampfes gegen Doping, der nur vordergründig dem Schutz der Athleten dient. Die sind am Ende stets die Leidtragenden – und sei es hier, weil erst ihr Name aus der Nachricht den Skandal macht. Dabei liegt der echte Skandal ganz woanders. Wir dürfen gespannt sein, ob der DLV, das IOC uns insbesondere IAAF „lückenlose Aufklärung“ verlangen oder sich gewohnt bedeckt halten.
Das Urteil hat große Schwächen und ich bin nicht sicher, ob es einer Kontrolle durch den CAS stand hält. Ganz sicher kann aber von keinem aktiven Athleten verlangt werden, die rechtlich hochkomplexe Würdigung besser vorausgesehen zu haben, als der CEO eines Weltkonzerns. Das ist gegenüber den Athleten unfair.
Unten einige Auszüge aus dem Urteil
https://www.usada.org/wp-content/uploads/Salazar-AAA-Decision-1.pdf
AMERIKANISCHE SCHIEDSGERICHTSVEREINIGUNG („AAA“)
HANDELSSCHIEDSGERICHT
AAA Fall Nr. 01-17-0004-0880
ANTI-DOPING DER VEREINIGTEN STAATEN AGENTUR (USADA),
Kläger
und
ALBERTO SALAZAR,
Beklagter
Final Award
Para. 101.
Am 12. Dezember 2011 schickte der Beklagte eine E-Mail an Lance Armstrong, Mark Parker, President und Chief Executive Officer von Nike, und Tom Clarke, President of Advanced Innovation von Nike, bezüglich der L-Carnitin-Infusion von Herrn Magness. In seiner E-Mail schrieb der Beklagte, ein Auszug: „Bei meinem Assistenten Steve benutzte der Arzt einen 1-Liter-Salinenbeutel mit der Lcarnitin- und Dextroselösung, der seinen Insulinspiegel nach oben trieb und so das Lcarnitin in die Muskeln saugte.“
Para. 386
Der Plan, ein Testosteron-Experiment durchzuführen, entstand aus einem Gespräch zwischen dem Beklagten und Dr. Brown. Dr. Brown entwarf dann das Verfahren für das Experiment, um die Verabreichung von Testosteron an Probanden, die 5.000 Meter oder 10.000 Meter laufen würden, einzusetzen. Wie Dr. Brown Mark Parker per E-Mail vom 7. Juli 2009 mitteilte, testete das Verfahren nur eine Dosis, die wahrscheinlich „bei einem Athleten nicht erkannt wird“, beginnend mit einer und zwei Pumpen (gemeint sind Pumpenhübe, also Spritzer aus einer Dosierpumpe des verwendeten Gels) , nach einem „Lauf auf einem Laufband[sic] für 20 Minuten bei einer Umgebungstemperatur von 85 Grad (Fahrenheit)“ „[a]ll, um Bedingungen nach einem Lauf zu simulieren“ und „die minimale Menge an Gel zu bestimmen, die ein Problem verursachen würde“. Der Urin wurde eine Stunde nach der Anwendung von Testosterongel, aber zu keinem anderen Zeitpunkt nach der Anwendung getestet.
Para 391
Als die Tests am 7. Juli 2009 von Aegis Labs zurückkamen, schrieb Dr. Brown eine E-Mail an Nike CEO Mark Parker: „Wir haben vorläufige Daten über unsere Experimente mit einem topischen männlichen Hormon namens Androgel ….. Wir haben festgestellt, dass trotz eines leichten Anstiegs des T/E Verhältnisses (Verhältnis von Testosteron zu Epitestosteron) der Wert von 4 unterschritten wurde, dessen Überschreitung Anlass zu großer Sorge geben würde….. Wir werden es als nächstes mit 3 Pumpen wiederholen. . . Wir müssen die minimale Menge an Gel bestimmen, die ein Problem verursachen würde:“ Herr Parker antwortete und riet dem Beklagten, dass „es interessant sein wird, die minimale Menge an topischem männlichem Hormon zu bestimmen, die benötigt wird, um einen positiven Test zu erstellen“. Dr. Brown stimmte zu und leitete die E-Mail Korrespondenz an den Beklagten weiter, der antwortete, dass er Aegis erlauben würde, direkt mit Dr. Brown über die Analyse zu sprechen, die zur Unterstützung des Experiments durchgeführt wurde.
Para 395
Am 5. August 2009 schickte Dr. Brown eine E-Mail an Nike CEO Parker mit Kopie an den Beklagten und erklärte, dass vier Pumpen von AndroGel zu einem T/E-Verhältnis von 2,8 führten, was seiner Meinung nach nur dann von Bedeutung wäre, wenn es 3 oder höher wäre. In derselben E-Mail erklärt Dr. Brown: Wir wissen aus der medizinischen Literatur, dass 8 Spritzer definitiv ein Problem auslösen würden. Ich vermute, dass auch 6 und 7 ein Problem darstellen würden. Jedoch ist dieses wahrscheinlich NICHT ein Hauptanliegen, da die Menge des Gels von sogar 4 Spritzern für jede mögliche Person, der man es verabreichen wollte, ziemlich offensichtlich sein würde. Frauen werden uns jedoch ein ziemliches Problem bereiten, da wahrscheinlich schon 1 oder 2 Spritzer ein Problem auslösen können. Um dies zu testen, müssten wir ein vollwertiges Forschungsverfahren erstellen, Freiwillige sichern und ein institutionelles Review Board einrichten, das es unterzeichnet. Ich denke, wir müssen unsere Athletinnen davon abhalten, mit jemandem Körperkontakt zu haben, bis nach dem Dopingtest nach einem Wettkampf.
Abs. 405
Paul Scott, Experte des Beklagten, ein analytischer Chemiker mit über 10 Jahren Erfahrung in Arzneimitteltestlabors, bezeugte, dass das Testosteron-Experiment darauf ausgelegt war, „festzustellen, ob ein Läufer in einem Szenario nach dem Rennen sabotiert werden könnte“ mit „der heimlichen Anwendung von Testosterongel“ und dass das Experiment für diesen Zweck geeignet war. Scotts Stellungnahme basierte darauf, dass der Beklagten und Dr. Brown die Menge des getesteten Testosterongels nicht erhöht haben, wenn „die Menge zu groß wird“, was bedeutet, dass „sie es nicht bis zum Punkt getestet haben, bei dem des Versagens beim T/E-Test geführt hätte“; vielmehr haben sie es bis zum Punkt des getestet, an dem es nicht mehr vernünftig wäre, das Gel heimlich aufzutragen“.
para 406
Scott bezeugte auch, dass das Testosteron-Experiment unvereinbar mit der Einführung irgendeiner Art von Dopingverfahren war, weil „sie alles ignorieren, worauf Sie achten müssten, wenn Sie ein Szenario betrachten würden, in dem Sie jemanden mit Testosteron dopen wollten“. Zum Beispiel bezeugte er, dass das Verfahren für das Testosteron-Experiment – wie von Dr. Brown in einer E-Mail vom 7. Juli 2009 an Mark Parker identifiziert – so war:
„Die Probanden, die getestet wurden, Alberto’s Söhnen, wurden 20 Minuten lang auf einem Laufband bei einer Umgebungstemperatur von 85 Grad belastet. Das Androgel wurde 1 Stunde später auf die Haut gerieben und der Urin getestet! Alles, um die Bedingungen nach dem Laufen zu simulieren“ – dies würde keine wertvollen Daten für die Entwicklung eines Dopingkonzeptes liefern, wie z.B. ob die Menge an Testosteron eine verbesserte Leistung brachte, da das Gel „nach dem Rennen“ aufgetragen wurde.
Para 426
Deshalb ist die Frage für das Gericht, ob der Besitz zum Zeitpunkt des Testosteronversuchs „im Zusammenhang mit einem Athleten, einem Wettkampf oder einem Training“ war. Aus der Zeugenaussage geht hervor, dass nur Nicht-„Athleten“, die beiden Söhne des Befragten, an dem Testosteron-Experiment beteiligt waren.
Para 461
Das Panel akzeptiert die meisten Fakten und Argumente, wie sie von dem Beklagten dargelegt werden, d.h. dass der Beklagte keinen kommerziellen Nutzen aus dem Experiment zog (da er bezahlt wird), dass die zeitgleichen E-Mails belegen, dass das Geschehnis, das zu dem Experiment führte, ein potenzieller Sabotageakt war, und dass der Zweck des Experiments darin bestand, Sabotage zu verhindern, dass sich das Experiment nur auf die Sorge des Beklagten über das potenzielle Sabotagepotenzial konzentrierte, dass das Verfahren für das Experiment mit der Sabotageprävention und einem Dopingschema unvereinbar war, dass keine Anstrengungen unternommen wurden, um das Testosteron-Experiment geheim zu halten oder in irgendeiner Weise zu verbergen, und dass der Beklagte eine lange Geschichte umfangreicher Versuche zur Einhaltung des WADA code hat. Dennoch stellt das Panel fest, dass der Beklagte seinen Söhnen Testosteron, einen verbotenen Stoff, wie in Artikel 2.7 des Kodex vorgesehen, „gegeben“ hat. Es gibt keine weiteren Anforderungen, die im Code festgelegt sind, außer diesem Akt des „Gebens“ durch eine Unterstützungsperson des Athleten an einen Dritten.