Klassifikationsregeln in wesentlichem Punkt rechtsmissbräuchlich.

Das Internationale Olympische Komitee hat das Klageverfahren LG Köln 33 O 187/23, Urteil vom 12.9.2024, gegen den von WIESCHEMANN Rechtsanwälte vertretenen US Amerikaner David Berling verloren. Das Urteil hatte sich in der mündlichen Verhandlung vom 4.7.2024 angekündigt. Das IPC hatte Sorge, die Paralympics absagen zu müssen. 

Zum Hintergrund siehe https://wieschemann.eu/david-berling-vs-international-paralympic-committee/

Streitgegenstand ist, dass das IPC in den Klassifikationsregeln den angeschlossenen Verbänden untersagt, einem Athleten, dessen Wettbewerbschancen durch eine falsche Klassifikationsentscheidung zugunsten eines Mitbewerbers vereitelt werden, effektiven Rechtschutz gegen die Entscheidung zu gewähren, die nicht ihn selbst, sondern den Konkurrenten betrifft. Dem IPC wurde durch das Gericht unter Androhung eines  Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000 untersagt, diese Vorschrift anzuwenden oder durchzusetzen. Im Ergebnis beutetet dies, dass das IPC die Möglichkeit schaffen muss, die Klassifikation, daher die Einordnung eines Mitbewerbers in eine bestimmte Sportklasse, in einem förmlichen Verfahren auf Antrag eines Mitbewerbers sachlich überprüfen zu lassen.

Der genaue Wortlaut ist:

Dem Beklagten wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds von bis zu 250.000 € – er- satzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an seinem gesetzlichen Vertreter, untersagt, den Classification Code des Beklagten in Art. 13, in Art. 13.1.1 und 13.1.2 und den International Standard for Protests and Appeals des Beklagten in Art 2 und 3 insoweit anzuwenden, durchzusetzen oder durchsetzen zu lassen, als dass die Teilnahme an Veranstaltungen des Para Sports von der Anerkennung solcher Regeln abhängig zu machen, die der UCI beispielhaft in Art. 16.4.020 der UCI Para Cycling Regulations umgesetzt hat, nach denen die Teilnehmer nicht legitimiert sind, die Klassifikation, daher die Einordnung eines Mitbewerbers in eine bestimmte Sportklasse, in einem förmlichen Verfahren sachlich überprüfen zu lassen.

Das Urteil schließt an die Entscheidungen des LG Köln (33 O 59/22, Hernandez ./. IPC) und OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.1.2022, VI-6 W 1/22 (Kart), Huckaby ./. IPC ), beide vertreten durch RA Christof Wieschemann, zur Überprüfbarkeit der Klassifikationsregeln durch staatliche Gerichte und OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.02.2023 – 1 U (Kart) 7/21 Brasil ./. IPC, vertreten durch RA Alexander Engelhard, zur Reichweite des Justizgewährungsanspruchs im Recht der Sportverbände an. 

Während es in dem Streitfall Brasil das OLG Düsseldorf für rechtswidrig gehalten hat, den Justizgewährungsanspruch des Athleten im Zusammenhang mit der eignen Klassifikation zu beschneiden, geht das LG Köln darüber hinaus. Der Athlet hat auch Anspruch auf Kontrolle der Klassifikation des Gegners, weil durch die Einschränkung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Klassifizierung von Athleten, mit denen der Kläger im Wettbewerb steht, sich die Chancen des Klägers verschlechtern.

Das Verhalten des IPC ist auch am Maßstab des BVerfG (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 03.06.2022 – 1 BvR 2103/16, Rn. 36 ff. bei juris, Pechstein)  rechtsmissbräuchlich.  Ein missbräuchliches Verhalten liegt nach der sowohl im Rahmen des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB als auch im Rahmen des § 19 Abs. 1 GWB erforderlichen Interessenabwägung vor, weil das Verlangen nach einer Vereinbarung, die die Überprüfbarkeit der Klassifizierungsentscheidung ausschließt, den allgemeinen gesetzlichen Wertentscheidungen widerspricht und schon deshalb nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein kann.

Auch wenn leider davon auszugehen ist, dass der paralympische Sport nach dem Ende der Paralympics Paris 2024 wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit fällt, geht die Bedeutung des Verfahrens über den Einzelfall und auch den paralympischen Sport hinaus.

Die Situation, dass ein Wettbewerbsteilnehmer durch eine Entscheidung des Verbandes über die Teilnahmemöglichkeiten des Gegners in seinen eigenen Chancen betroffen ist, ist eher die Regel als die Ausnahme. Das betrifft jede Lizenzentscheidung in Mannschaftssportarten wie dem Fußball und dem Handball, aber auch Klassifikationsentscheidungen. Bisher haben Wettbewerbsteilnehmer in der Regel keine Möglichkeit, sich gegen solche (falschen) Entscheidungen zu wehren. 

Falsche Klassifikationsentscheidungen, ob betrügerisch als Misrepresentation herbeigeführte, oder unverschuldete, aufgrund der strukturellen Schwächen des Klassifikationssystem ausgenutzte, sind die größte Herausforderung für den paralympischen Sport. 

Das Internationale Paralympische Komitee muss sich der Verantwortung stellen und für die beteiligten Athleten effektiven Rechtschutz schaffen. Nur das wird die Qualität des Klassifikationssystems verbessern und mehr Wettbewerbsgerechtigkeit schaffen. 

Allen Athleten, die sich in den eigenen Chancen beeinträchtigt sehen, weil sie gegen Gegner starten müssen, die aufgrund falscher Entscheidung des Verbands Vorteile haben, die mit Training und Technik nicht überwunden werden können, können wir nur raten, Protest einzulegen.