Aufgrund verschiedener Anfragen zu dem Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Köln im Fall David Berling gegen das Internationale Paralympische Komitee IPC haben wir die folgenden Informationen zum Verfahren und zur Klassifikation im paralympischen Sport zusammengestellt.

Wer sind die Parteien
Der Kläger ist US-amerikanischer Staatsbürger, der ursprünglich Finanz- und Wirtschaftswissenschaften studiert hat und über einen Master-Abschluss verfügt. Von Dezember 2002 bis April 2007 diente er als Offizier im aktiven Dienst bei der US-Luftwaffe.
Am 29. April 2007 war er auf dem Weg zum Dienst in den Absturz eines Privatflugzeugs verwickelt, wodurch er beide Beine oberhalb des Knies verlor. Er verließ die Armee zwei Jahre nach dem Unfall, arbeitete aber weiterhin als Zivilangestellter in derselben Funktion in der Beschaffung.
Während seiner Rehabilitation kam er mit dem Para-Cycling in Kontakt, das er in zunehmendem Maße zu praktizieren begann.
2014 schied er aus der Luftwaffe aus und ist seitdem Vollzeit-Sportler. Seit 2015 nimmt er an Wettkämpfen teil, zunächst national und seit 2017 international. Seit 2018 ist er zeitweise Mitglied der US-amerikanischen Para-Cycling-Nationalmannschaft und nimmt an Weltmeisterschaften und Weltcup-Rennen teil.

Der Beklagte IPC ist die Vertretung aller nationalen Paralympischen Komitees der Welt. Sein Zweck ist die weltweite Förderung des Behindertensports und unter anderem die Organisation der alle vier Jahre stattfindenden Paralympischen Sommer- und Winterspiele sowie anderer Sportveranstaltungen. Er ist als eingetragener Verein mit Sitz in Deutschland organisiert. Der Beklagte legt international einheitliche Regeln für die Organisation von Wettkämpfen im Para-Sport fest, deren Anerkennung Voraussetzung für die Aufnahme von Sportverbänden in den organisierten Para-Sport ist.

Wer vertritt David Berling in dem Verfahren?
WIESCHEMANN Rechtsanwälte, Christof Wieschemann ist ein deutscher Rechtswissenschaftler und Sportjurist mit fast 30 Jahren Erfahrung, hauptsächlich als Athletenvertreter gegen alle großen Sportverbände der Welt. Top 10 der besten Anwälte Deutschlands 2023 & 2024 Sportrecht – vom Handelsblatt in Zusammenarbeit mit Best Lawyers

Wann haben wir die Klage von David Berling bei einem deutschen Gericht eingereicht?

  1. Juli 2023

Die Klage musste bei einem deutschen Gericht eingereicht werden, weil das IPC ihren Sitz in Deutschland hat, ist das richtig?
Ja, die IPC hat seinen Sitz in Bonn. Der Gerichtsstand für Kartellverfahren ist Köln

Was war unser juristisches Argument gegen das IPC?
Wir argumentierten, dass das IPC als Monopol agierte und damit gegen die deutsche Verfassung, den EU-Vertrag und das Kartellrecht verstieß. Wir halten es für rechtswidrig, dass das IPC den Athleten keine Rechtsmittel gegen Klassifizierungsentscheidungen einräumt, die zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen.
Obwohl wir die Klage bereits im Juli 2023 eingereicht haben, ist der Kern unserer Argumente identisch, was der Europäische Gerichtshof später in seinem Urteil gegen die ISU vom 21. Dezember 2023 in Case C‑124/21 P im Sportrecht bestätigte. Es war vorhersehbar, wie sich die Rechtsprechung entwickeln würde:
https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=280763&pageIndex=0&doclang=EN&mode=req&dir=&occ=first&part=1

196 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Sportverbände zwar über eine rechtliche Autonomie verfügen, die sie dazu berechtigt, Regeln u. a. für die Organisation von Wettbewerben, deren ordnungsgemäßen Ablauf und die Teilnahme von Athleten an diesen Wettbewerben zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2000, Deliège, C 51/96 und C 191/97, EU:C:2000:199, Rn. 67 und 68, und vom 13. Juni 2019, TopFit und Biffi, C 22/18, EU:C:2019:497, Rn. 60), können Sportverbände dabei jedoch nicht die Ausübung der den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte und Freiheiten einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C 415/93, EU:C:1995:463, Rn. 81 und 83, sowie vom 13. Juni 2019, TopFit und Biffi, C 22/18, EU:C:2019:497, Rn. 52), zu denen die den Art. 101 und 102 AEUV zugrunde liegenden Rechte gehören.
197 Aus diesem Grund müssen Vorschriften wie die Vorschriften über die vorherige Genehmigung und die Zulässigkeit einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen, wie aus den Randnummern 127 und 134 des vorliegenden Urteils hervorgeht.
198 Dieses Erfordernis einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle bedeutet, dass das für die Überprüfung der Schiedssprüche zuständige Gericht, falls solche Regeln Bestimmungen enthalten, die einer Schiedsinstanz eine zwingende und ausschließliche Zuständigkeit übertragen, bestätigen kann, dass diese Schiedssprüche mit den Art. 101 und 102 AEUV im Einklang stehen. Außerdem bedeutet dies, dass das Gericht alle Anforderungen nach Artikel 267 AEUV erfüllt, so dass es berechtigt bzw. verpflichtet ist, den Gerichtshof mit einer Frage zu befassen, wenn es der Auffassung ist, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs zu einer in einem bei ihm anhängigen Verfahren aufgeworfenen Frage des Unionsrechts erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2 3. März 1982, Nordsee, 102/81, EU:C:1982:107, Absätze 14 und 15, und vom 1. Juni 1999, Eco Swiss, C 126/97, EU:C:1999:269, Absatz 40).

Ist es richtig zu sagen, dass, wenn David seinen Prozess gewinnen würde, dies Athleten die Möglichkeit eröffnen würde, die Klassifizierungsentscheidungen anderer Athleten anzufechten?
Ja

Wer kann nach den aktuellen IPC-Regeln eine Beschwerde gegen eine Klassifizierungsentscheidung einreichen?
1) Internationale Verbände.
2) Nationale Verbände und nationale paralympische Komitees, jedoch nur in Bezug auf Athleten, die einem Verband angehören, nicht auf Athleten, die einem anderen Verband angehören

Hatten Athleten früher die Möglichkeit, die Klassifizierung eines anderen Athleten anzufechten? Und hat das IPC dieses Recht irgendwann aufgehoben?
Bis 2007 konnten nationale Verbände und nationale Paralympische Komitees auch Proteste gegen Athleten einlegen, die anderen Verbänden angehörten. Athleten selbst waren nie berechtigt, einen Protest einzulegen.

Können Sportler heute ihren eigenen Sportverband – in Davids Fall die UCI – mit einer Beschwerde über die Klassifizierung eines anderen Sportlers kontaktieren? Man könnte meinen, dass die UCI die Beschwerde des Sportlers ignorieren könnte, aber ist das eine mögliche Option?
Nein. Das IPC hat dies in den Verfahren behauptet, um sich aus der Verantwortung zu ziehen, aber das ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Der Klassifizierungskodex des IPC, der in den eigenen Rechtsrahmen internationaler Verbände umgesetzt werden muss, ist sehr eindeutig. Es gibt Beispiele von anderen Verbänden, bei denen Proteste von Athleten einfach ignoriert wurden.

Warum glauben Sie beide, dass ein Rechtsmittel für Athleten erforderlich ist?
Das ist nicht nur unsere Meinung. Es ist die Meinung vieler Interessengruppen im paralympischen Sport. Laut den Ergebnissen der vom IPC selbst im Rahmen des Überprüfungsprozesses durchgeführten Umfrage wird die falsche Klassifizierung als das größte Problem und Risiko für den paralympischen Sport angesehen. Teilweise ist dies das Ergebnis vorsätzlicher Falschdarstellung, aber auch eines strukturellen Problems. Die Klassifizierung hängt bisher eher von der individuellen Erfahrung ab und ist nicht evidenzbasiert. Das bedeutet, dass das Ziel der Klassifizierung, ein gleichmäßiges Spielfeld in den Sportklassen zu schaffen, derzeit oft verfehlt wird.
Dieser Zustand der Ungerechtigkeit wird dadurch unterstützt, dass niemand, der ein Interesse daran haben könnte, befugt ist, Protest einzulegen.

Das IPC hat einen Beschluss beantragt, in dem David aufgefordert wird, 10.000 Euro zur Deckung der Anwaltskosten der IPC zu zahlen, falls sie den Fall gewinnen. Ist das ein normaler Antrag? Es kann als strategische Taktik der IPC angesehen werden, mit der sie versucht, ihn zu zwingen, seine Klage fallen zu lassen. Haben Sie das auch so aufgefasst?
Fakt ist: Die unterlegene Partei muss der obsiegenden Partei die Anwaltskosten erstatten. Dieser (Kosten-)Teil eines deutschen Urteils ist jedoch in den USA nach dem New Yorker Übereinkommen über die internationale Anerkennung von Urteilen nicht vollstreckbar. Daher muss ein Kläger in der EU, der nicht selbst Staatsangehöriger eines EU-Staates ist, nach deutschem Zivilprozessrecht auf Verlangen des Beklagten eine Sicherheit leisten. Dies ist zulässig und üblich.
Unsere Meinung: Das IPC hat in anderen Fällen keine solche Sicherheit verlangt. Da der Weltverband des paralympischen Sports strukturell dem einzelnen Athleten überlegen ist, halten wir die Forderung auch für illoyal.

Wann sollte die erste Gerichtsverhandlung stattfinden?
Am 2. Januar setzte das Gericht den ersten Termin auf den 23. April fest, der jedoch verschoben wurde.

Dann wurde endlich ein Anhörungstermin angesetzt. An welchem Datum fand die Anhörung statt?
Am 4. Juli.

Stimmt es, dass das IPC bei dieser Anhörung argumentierte, David habe versucht, die Paralympics absagen zu lassen? Stimmt es, dass das IPC außerdem argumentierte, dass das IPC im Falle eines Sieges von David in seinem Rechtsstreit mit Klagen von Athleten überschwemmt werden würde, sodass es die Paralympics absagen müsste?
Das ist teilweise richtig. Sie argumentierten, es sei unser Ziel, die Spiele zu verhindern. Das ist eindeutig falsch. David und ich wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und den Wettbewerb fairer gestalten – nicht verhindern.
Das IOC befürchtete, dass es unmöglich sein würde, die Paralympischen Spiele 2024 in Paris durchzuführen. Wir beantragten vor Gericht, dass die Klassifizierung teilweise rechtswidrig ist und das IPC sie insoweit nicht durchsetzen darf, als dass den Athleten kein Rechtsmittel wie ein „Protest“ gewährt wird. Das IPC war der Ansicht, dass die Spiele eine Art Durchsetzung des Code darstellen würden, da alle Athleten, die an den Spielen teilnehmen, nach dem Code qualifiziert sind.

Die Richter teilten dem Gerichtssaal an diesem Tag in einer vorläufigen Einschätzung mit, dass sie, wenn sie an Ort und Stelle eine Entscheidung treffen müssten, zugunsten von David entscheiden würden?
Ja.

Aber das Gericht hat bei der Anhörung im Juli keine Entscheidung getroffen – warum nicht?
Das Gericht hat die Möglichkeit, die Entscheidung am Ende der Anhörung bekannt zu geben. In diesem Fall müssen die Gründe so schnell wie möglich schriftlich dargelegt werden.
Das Gericht kann auch einen Termin für die Bekanntgabe einer Entscheidung nach der Anhörung festlegen, wobei das Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits in schriftlicher Form vorliegen muss.
Das Gericht hat sich für die zweite Alternative entschieden, da einige Mitglieder der Kammer in der Zwischenzeit im Urlaub sind, und den Termin für die Verkündung auf den 12. September festgelegt.
Es hat dem IPC die Möglichkeit gegeben, bis zum 1. August noch einmal rein rechtlich zu argumentieren, warum der Klassifizierungscode für die angeschlossenen Verbände nicht verbindlich sein sollte.
Inzwischen haben wir die Stellungnahme des IPC erhalten.
Einerseits behauptet das IPC, dass der Ausschluss des individuellen Rechtsschutzes notwendig sei, weil Athleten sonst durch die Einlegung eines Protestes ihr Startrecht verlieren würden und dies dazu genutzt werden könnte, Gegner zu behindern. Andererseits behauptet das IPC, dass es den angeschlossenen Verbänden nicht untersagt sei, individuellen Rechtsschutz zu gewähren. Es behauptet auch, dass es bei der UCI bereits heute möglich wäre, weil sowohl die Ethikkommission, aber auch der Disziplinarausschuss und der Schiedsausschuss, also eigentlich alle, zuständig wären. Das ist nicht schlüssig und natürlich falsch. Es ist vielmehr ein Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen. Wir halten das Argument auch für gefährlich für das IPC, wenn sie behauptet, dass die angeschlossenen Verbände die Regeln frei formulieren können. Dies würde die Autorität des IPC als oberster Verband untergraben und das Sportorganisationsrecht in seinen Grundfesten erschüttern, in dem in der Regel ein Verband an der Spitze der Pyramide steht und seine Regeln bis zur Basis durchsetzt.

Wie zu erwarten war, gibt es aber eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder – und das halte ich für die wahrscheinlichste Lösung – wird das IPC gezwungen sein, ein Recht für Athleten einzuführen, einen Protest einzulegen, weil die derzeitige Praxis rechtswidrig ist.

Oder das Gericht würde – was ich nicht für wahrscheinlich halte – die Ansicht des IPC teilen, dass ein Athlet bereits heute eine Überprüfung der Klassifizierung des Gegners beantragen kann.

In beiden Fällen können wir allen Athleten weltweit nur dringend raten, im Vorgriff auf das Urteil eine Beschwerde/einen Protest beim internationalen Sportverband einzureichen, wenn ein Athlet den Eindruck hat, dass er benachteiligt wird, weil ein Gegner falsch eingestuft ist.

Erwarten Sie, dass am 12. September ein Urteil gefällt wird?
Ja

Wenn Sie den Fall gewinnen, was bedeutet das unmittelbar danach? Werden viele Athleten den IPC wegen Klassifizierungsfragen verklagen?
Möglicherweise. Ich habe einige Mandanten aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich in derselben Situation wie David befinden und auf das Ergebnis warten. Im besten Fall würde das Urteil allen Athleten zugutekommen.

Was erwarten Sie, wenn Sie den Fall gewinnen?
Die IPC übernimmt die Verantwortung und schafft ein eigenes System, über das Athleten gegen Klassifizierungsentscheidungen Einspruch einlegen und/oder diese anfechten können.
Oder die IPC delegiert die Verantwortung an die einzelnen Sportarten und ihre internationalen Verbände und überlässt es jeder Sportart, die Beschwerden zu bearbeiten.
Ich denke, dass sich die IPC selbst um Rechtsmittel kümmern muss. Die IPC ist der Herr des Klassifizierungscodes. Dieser regelt das Verfahren und muss auch geregelt werden, da unterschiedliche Regeln in verschiedenen Verbänden nicht mit dem „Ein-Platz-Prinzip“ und der Pyramidenstruktur der Verbände im internationalen Sport vereinbar sind.

Empfehlung, um einen Protest einzulegen:

Protest / Complaint

to the chief classifier of

(insert name of the international Federation)

My name is

(full name, address, nationality, if applicable athletes no)

I´m allocated to

(sport and sport class)

I raise protest / complaint against

(full name, address, nationality, if applicable athletes no)

The athlete is allocated to

(sport and sport class, if applicable and known date of the protested decision)

I give the following explanation as to why the protest is been made and the basis on which I believe that the protested decision and the allocation to a sport class is flawed:

(describe in your own words. You should show that the Protest is bona fide (made in good faith) and not simply an allegation without any supporting evidence)

I can provide the following providing evidence

(if applicable and available fotos and/or footage or witness statements)

I request that the protest be dealt with. If you are of the opinion that I am not entitled to lodge a protest, please treat this as a complaint and refer the matter to the ethics committee or the disciplinary committee or the arbitral board.

Please inform me of the initiation and conclusion of the proceedings.

Place, date, signature