Beitrag für Topicos 1-2009
In der Zeitschrift Topicos des Deutsch Brasilianischen Gesellschaft e.V. schreibt Rechtsanwalt Wieschemann auf Einladung des Präsidenten Dr. Uwe Kaestner, Botschafter a.D., über die Ausbildung junger Fußballspieler in Brasilien und deren Transfer nach Europa und in die Welt. Die meisten Fans verbinden mit brasilianischem Fußballer die hohe Spielkunst und Fußball als Ausdruck der Freude, aber für die Mehrzahl der Spieler in Brasilien ist es die einzige Chance dem sozialen Elend zu entfliehen. Mit dieser Hoffnung machen viele eine Geschäft – in Südamerika, wie in Europa.
EXPORTNATION BRASILIEN
In der langen Liste der von Brasilien ausgeführten Rohstoffe tauchen sie nicht auf. Gesamtwirtschaftlich mögen sie auch weniger bedeutsam sein. Die Wahrnehmung von Brasilien im Ausland prägen sie aber mehr als alles andere. Fußballspieler, die vieltausendfach in der Erwartung einer großen Karriere in Brasilien ausgebildet und später in alle Welt transferiert werden.
Ein Gastbeitrag von RA Christof Wieschemann[i]
Die Produktion von Fußballtalenten erfolgt in Brasilien mit fast schon industriellen Zügen. “Zuerst sähen wir, dann ernten wir, und schließlich verkaufen wir unser Produkt auf dem Markt. Direkt auf den Tisch des Verbrauchers. Unser Hausabsatzmarkt ist Europa“, sagt Carlos Alberto, der ehemalige brasilianische Nationalspieler und zweimalige WM-Teilnehmer.
Die Namen der brasilianischen Spieler, die im Ausland Weltruhm erlangten, kennt in Europa und in Brasilien jedes Kind. In seit Jahren steigender Zahl von ca. 701 Spielern im Jahr 2000 auf 1176 im Jahr 2008 wechseln jährlich junge brasilianische Talente in die ganze Welt. Kaum ein Junge in Brasilien, der nicht seinen Idolen nacheifern will. Ein Ideal, das nach Auffassung von Socrates, Kapitän der brasilianischen WM-Elf von 1982, auch durchaus negative Züge hat, kommen doch fast alle Nationalspieler aus eher armen Verhältnissen ohne vernünftige Schulbildung. Für sie war der Fußball die einzige Chance, der Armut zu entfliehen. Wenn aber die Idole, so führt Socrates in einem Spiegelinterview aus, keine Schulbildung haben, frage sich doch jedes Kind: “Warum soll ich zum Unterricht gehen“? Auf dieser Art und Weise würden Generationen von Ausgeschlossenen herangezogen, denn von den Millionen fußballfixierten Jungen schaffte nur ein Bruchteil den Aufstieg zum Star. Alle anderen seien – ohne Ausbildung – zum Elend verdammt.
Das ist die Kehrseite der Medaille. Angesichts der Zahl der transferierten Spieler ist der Anteil der späteren Stars denkbar gering. Dies dürfte im Wesentlichen zwei Ursachen haben.
Profifußball ist vor allem ein Geschäft, an dem möglichst viele verdienen wollen. Zuerst natürlich die brasilianischen Vereine, die ihren eigenen Spielbetrieb und selbstverständlich auch die Nachwuchsausbildung fast ausschließlich mit den Erlösen aus dem Verkauf ihrer Spieler finanzieren. Nur äußerst selten aber befindet sich zum Zeitpunkt des Transfers eines Spielers nach Europa der abgebende Club noch im Besitz aller “Transferrechte“, häufig wurden unter wirtschaftlichem Druck Anteile der „Transferrechte“ bereits zuvor an Spielerberater veräußert, deren Zahl sich in den letzten sechs Jahren in Brasilien verzwanzigfacht hat. Dass ein brasilianischer Spieler nach Ende seines Arbeitsvertrages “ablösefrei“ wechselt, kommt in der Praxis faktisch nicht vor. Der wirtschaftliche Druck ist hoch, so hoch, dass die Talente häufig viel zu früh ins Ausland wechseln. Das ist weder für die charakterliche Entwicklung der Spieler gut, noch wirtschaftlich sinnvoll. In der Liste der Toptransfers stehen nicht wenige Brasilianer – aber nur mit den Transfers innerhalb Europas. Nur Denilson hat wirklich viel Geld nach Brasilien gebracht.
Kaum ein ehemaliger namenhafter brasilianischer Spieler oder Trainer, der sich nicht mit einer Fußballschule um die Ausbildung von Nachwuchstalenten bemüht. Nur wenige tun dies aus altruistischen Motiven, wie der ehemalige Profi von Leverkusen und Bayern München, Jorginho, der im Jahr 2000 zusammen mit seinem Mitweltmeister Bebeto eine Fußballschule in Rio de Janeiro eröffnete, in der nicht nur Trainer und Betreuer, sondern auch Lehrerinnen und Sozialarbeiter bis zu 700 Kinder in den Fähigkeiten unterrichten, die sie nicht nur im Fußball, sondern im Leben benötigen. Auch er wollte erst in Transfergeschäfte einsteigen, aber hatte schnell gemerkt, dass das nicht mehr seine Sache, sein Herz nicht mehr dabei war. Andere, wie der frühere brasilianische Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira, oder Vanderlei Luxemburgo, Nationaltrainer von 1998 bis 2000 und einer der „Stars“ des Untersuchungsausschusses Korruption im Fußball 2000/2001, verfolgen eher wirtschaftliche Interessen.
Manche seriös, mehr noch unseriös.
Im Jahr 2006 ging beispielhaft die Geschichte von Douglas Rodrigues durch die Presse, der auf dem Frankfurter Flughafen mit 5 weiteren Spielern aus Brasilien strandete. Sein Traum von einer Zukunft als Fußballprofi hatte seinen Vater dazu gebracht, sein Auto zu verkaufen, um damit Reisekosten seines Sohnes und eines Spielervermittlers zu bezahlen, dessen gute Kontakte zu europäischen Vereinen aber tatsächlich nur in dessen Fantasie bestanden. Brasiliens Nationaltrainer Carlos Dunga bringt es auf den Punkt “Jeder sagt, dass dieser Spielerhandel wie Prostitution ist, aber alle ziehen ihren Nutzen daraus“.
Der weitere Grund, warum die Misserfolgsquote der Transfers relativ hoch ist, ist ein Dilemma. Die Faszination des brasilianischen Fußballs basiert auf Kreativität, auf absoluter Freiheit, nicht auf Effizienz. Der brasilianische Fußball ist unorganisiert wie die brasilianische Gesellschaft- und häufig wie die brasilianischen Spieler. Europäische, gerade deutsche Vereine, die sich in jahrelanger Arbeit “stromlinienförmige“ Jungprofis herangezüchtet haben, haben mit der Individualität brasilianischer Spieler oft ihre Schwierigkeiten. Die Eigenschaften, die auf dem Spielfeld gefragt sind, führen außerhalb häufig zu Konflikten. Viele der großen brasilianischen Spieler sind in Europa durch Eskapaden außerhalb des Spielfeldes aufgefallen und deswegen mit ihrem Verein aneinandergeraten. Die Spieler, die in Europa nachhaltig in positiver Erinnerung bleiben werden, wie Ze Roberto, Jorginho oder auch Dunga, erklären selbst, dass sie die hier geschätzten Eigenschaften, Organisation, Disziplin, Härte und Athletik erst in Europa gelernt haben.
Immer noch unterschätzt wird der Einfluss veränderter Lebensbedingungen auf die Leistungsfähigkeit der Spieler. Die Zeiten von Sepp Herberger, der seinen Spielern noch den Satz mit auf den Platz gab “11 Freunde sollt ihr sein“ sind lange vorbei. Auch die verschworenste Mannschaft löst sich meist nach Ende des Trainings oder des Spieles auf, was sich mit der Mentalität gemeinschaftsgewohnter brasilianischer Spieler nur schwer verträgt. Der Wille zur Integration ist häufig nur gering, die Sprachbarriere umso größer. Zurückweisung durch den Trainer empfinden südamerikanische Spieler häufig als mangelnden Respekt, was leicht zur Übersteigerung von Meinungsverschiedenheiten mit geringem Anlass führt.
Dass man das im Charakter des Spielers begründete Risiko durch solide Recherche reduzieren kann, zeigt das Bespiel von Bayer 04 Leverkusen. Der Verein nutzt die in Brasilien aufgebauten Kontakte um sich auch über einen längeren Zeitraum hinweg ein Bild über den Charakter eines Spielers zu verschaffen, auch durch gezielte Recherche im sozialen Umfeld. Damit leistete sich Bayer Leverkusen kaum einen Transferflop. Ganz im Gegenteil. Paulo Sergio, Ze Elias, Emmerson, Ze Roberto, Juan und zuletzt Renato Augusto sind nur einige Spieler, die ihre jeweils erste Europastation in Leverkusen hatten und sich bewährten. Einige von ihnen spielten später mit großem Erfolg beim FC Bayern München, dem Club, der in der Regel eine andere Strategie verfolgt. Der Verein verpflichtete, unter Inkaufnahme erheblicher Transferzahlungen, in der Regel Spieler, die sich bereits in Europa bewährt hatten. Da aber, wo sich der Verein dieser Regel zuwider sicher glaubte, einen Spieler unmittelbar aus Südamerika verpflichten zu können, blieb auch in München der Erfolg aus, wie bei dos Santos, Sosa und Breno. Völlig hinter den Erwartungen blieben in Deutschland zuletzt auch Carlos Alberto, Ze RobertoII und Thiago Neves, von denen allerdings – von deutschen Scouts unbemerkt – schon in Brasilien negative Schlagzeilen gemacht hatten.
Solche Geschichten werden weitere Transfers brasilianischer Spieler in die Welt nicht verhindern. Das Schicksal der jungen Spieler und der brasilianischen Clubfußball, dessen Attraktivität unter dem Verlust an Spielern leidet, verlangen aber einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Thema.
[i] Rechtsanwalt Wieschemann ist selbständiger Rechtsanwalt in Bochum und arbeitet seit 1998 im Sportrecht mit dem Schwerpunkt Fußball. Er ist unter anderem Mitglied in der International Sport Lawyers Association und der Deutsch Brasilianischen Juristen Vereinigung.