RP Online bat Rechtsanwalt Wieschemann als Anwalt des Angeklagten, einen Kommentar abzugeben. Vom 01.12.2012:
Ein Amateur bekam 50.000 Euro Schadenersatz, weil ihm ein Gegenspieler das Knie schwer verletzte. Der Fußballverband Niederrhein sieht darin einen möglichen Präzedenzfall.
Auf höchster Fußball-Ebene ist sie mittlerweile verpönt – die Grätsche. Im Amateurfußball ist dagegen ein Ursprungswerkzeug der Sportart noch ein elementarer Teil des Spiels. Ein Urteil stellt die Grätsche aber nun in Frage. Weil ein Amateurfußballer vom VfL Kemminghausen im Dortmunder Norden seinen 34-jährigen Gegenspieler, Michael Schlein vom VfB Lünen, im Jahr 2010 bei einer Blutgrätsche so schwer am Knie verletzt hatte, dass dieser seinen Beruf als Maler und Lackierer aufgeben musste, muss der Kreisliga-Kicker nun 50.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Somit können Fußballer für rüde Fouls mit Verletzungsfolgen zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Bedeutet das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm das Ende der Grätsche?
„Es ist ja nicht so, dass künftig jeder sagen kann: Jetzt habe ich einen Kreuzbandriss und das gibt 50.000 Euro gewissermaßen automatisch aufs Konto“, sagt Schlein, „dazu gehört mehr, wie mein Fall ja auch zeigt. Leider.“ Er hat zwölf Operationen hinter sich, kann nicht mehr arbeiten, hat Hartz IV beantragt.
„Die Grätsche gehört dazu“
„Nein“, sagt auch Guido Monaco, Trainer in der Kreisliga bei Schwarz Weiß 06 Düsseldorf, „die Grätsche gehört dazu. Vernünftige, solide Härte muss sein. Wir dürfen jetzt nicht übervorsichtig werden.“ Für den beschuldigten Dortmunder übernimmt die Haftpflichtversicherung die 50.000 Euro. „Ich empfehle jedem Amateurkicker eine Unfall- und eine Haftpflichtversicherung. Sonst kann das üble Folgen haben“, sagt der Anwalt des Angeklagten, Christof Wieschemann. Die Angst, bei jeder Grätsche nun womöglich zur Kasse gebeten zu werden, geht bei Freizeitkickern um. „Es ist ein sinnvolles Urteil. Über die Höhe der Strafe kann man streiten, aber es soll abschreckend wirken und einen Warnschuss darstellen“, sagt Rainer Lehmann. Der Geschäftsführer des Fußball-Verbands Niederrhein stellte zuletzt „ansteigende Tendenz zu Gewalt und Brutalität“ auf den Fußballplätzen fest.
Das Hammer Urteil birgt reichlich Gesprächsstoff. „Es ist ein Präzedenzfall. Es könnte dazu führen, dass sich andere Gerichte das Urteil zu eigen machen“, mutmaßt Lehmann. Dem widerspricht Sportanwalt Christoph Schickhardt: „Da gibt es keine Prozessflut. Diese Rechtsprechung, die bereits vom Bundesgerichtshof in den 1980er Jahren entwickeltworden ist, ist völlig anerkannt und unbestritten.“ Sie gelte für alle „Kampfsportarten“.
Urteil soll sich in die Köpfe der Spieler einbrennen
Die Rechtsprechung basiert dabei auf der Maßgabe der groben Rücksichtslosigkeit. Im Urteilsspruch heißt es, der Spieler habe „den Grenzbereich der noch hinzunehmenden Härte deutlich überschritten“. Fahrlässige Verletzungen im Rahmen der gebotenen Härte fallen nicht darunter. Dem Spieler muss Vorsatz nachgewiesen werden. „Wir leben nicht im rechtsfreiem Raum, auch auf dem Sportplatz nicht. Ich hoffe, das Urteil geht in die Köpfe der Spieler, sich vielleicht etwas mehr zurückzuhalten“, sagt Lehmann. In seinem Verband hatte er bislang „zivilrechtlich noch nie eine Rückmeldung einer Bestrafung. Wenn, dann gab es strafrechtliche Verfahren, weil Schiedsrichter oder Spieler geschlagen wurden“, sagt der Geschäftsführer.
Die Männer an der Basis denken beim Thema Gewalt eher an Veränderungen der Rahmenbedingungen als an Gerichtssäle. Kreisliga-Coach Monaco plädiert für mehr Fairness auf den Plätzen, eher für eine Aufrüstung des Schiedsrichterstabes: „Die Unparteiischen sind bei uns auf sich alleine gestellt. Ein paar Assistenten an der Linie würden helfen, die Lage öfter zu beruhigen.“
Patrick Scherer