Rechtsanwalt Wieschemann wurde von der ZEIT über das Lizenzierungsverfahrens der DFL befragt. Vom 12.05.2010:
Das Lizenzierungsverfahren der Deutschen Fußball-Liga wird hochgelobt. Doch ob Fußballclubs überschuldet sind oder nicht, ist aus den Unterlagen kaum zu erkennen.
Die DFL lobte deshalb die Vereine. „Die Lage ist angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise deutlich schwieriger als in den vergangenen Zeiten, aber die Clubs stellen sich darauf ein“, sagt Werner Möglich, DFL-Direktor Lizenzierung. Dass alle 36 Clubs der Ersten und Zweiten Bundesliga ihre Lizenz erhalten haben, könnte aber auch daran liegen, dass das europaweit hochgelobte deutsche Lizenzierungsverfahren zum Papiertiger verkommen ist. Viele wichtige Zahlen tauchen in den Unterlagen, die die DFL sehen will, gar nicht auf.
„Das Lizenzierungsverfahren wird meines Erachtens auf der Grundlage nicht mehr aktueller und zeitgemäßer Rechenwerke vorgenommen“, sagt der Bilanzrechtsprofessor Karlheinz Küting. „Das Verfahren spiegelt nicht die Realität wider und gibt keinen Einblick, der Entscheidungen ermöglicht.“
Es ist die Aufgabe der DFL, den Spielbetrieb für die jeweils laufende Saison, aber auch „längerfristig zu sichern“, so steht es in ihrer Lizenzierungsordnung. Gleichzeitig geht es um Wettbewerbsintegrität, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit.
Bisher gab es allerdings keinen Verein, der wegen einer schwächelnden Flutlichtanlage um seine Lizenz bangen mussten – eigentlich ging es immer ums Finanzielle. Doch ausgerechnet auf diesem Feld scheint es die DFL nicht ganz so genau zu nehmen.
Sie betrachtet bei ihrer Prüfung hauptsächlich die Liquidität der Vereine, ob also noch genug Geld in der Kasse ist, um die Spieler oder den Busfahrer bis zum Ende der Saison zu bezahlen. Ob die Clubs aber tatsächlich überschuldet sind oder nicht, ist aus den Unterlagen, die bisher eingereicht werden müssen, kaum zu erkennen.
Die Vereinsstrukturen werden immer komplizierter. „Die meisten Bundesligavereine sind lupenreine Konzerne“, sagt Karlheinz Küting. Der FC Schalke 04 steckt beispielsweise in einem verworrenen Konzerngeflecht mit einer zweistelligen Anzahl von Gesellschaften. Der Verein kann so etwaige Schulden zwischen den einzelnen Gesellschaften hin- und herschieben – wie die Schalker Spieler den Ball im Mittelfeld.
Am Ende der Spielereien könnten die Verbindlichkeiten nicht im Einzelabschluss des Vereins auftauchen, der von der DFL geprüft wird, sondern in den Bilanzen der Tochterunternehmen, für die sich die DFL nicht zuständig fühlt. Die Einzelabschlüsse zeigen daher oft nur noch einen kleinen Ausschnitt der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation der Vereine. „Ein Einblick in die wirkliche Unternehmenslage wäre nur dann möglich, wenn ein Konzernabschluss erstellt werden würde“, sagt Küting.
Daran haben die meisten Vereine jedoch kein Interesse. Und es gibt auch kein Gesetz, das sie zu einer transparenteren Bilanzierung zwingt. „Bundesliga-Vereine legen Jahresabschlüsse vor wie Kegelclubs“, sagt Küting. „Die Rahmenbedingungen sind falsch und hier sind der Gesetzgeber und die DFL gefordert, modernere und adäquatere Lösungsansätze vorzuschreiben.“
Längst sind die Bundesligavereine Wirtschaftsunternehmen
Schließlich geht es nicht nur darum, ob eine Mannschaft nun eine Spielzeit übersteht oder nicht. Längst sind die Bundesligavereine Wirtschaftsunternehmen, deren Aktionen weitreichende Folgen haben. Seien es Kreditgeber, Mitarbeiter, Fans oder die breite Fußballöffentlichkeit – sie alle haben Anspruch darauf, zu wissen, wie es den Fußballvereinen nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich geht. Die aber verschleiern ihre Vermögenslage. Sie tricksen, weil sie es dürfen. Vereine, die in der Hoffnung auf kurzfristigen sportlichen Erfolg hohe finanzielle Risiken auf sich nehmen und etwaige Schulden durch komplizierte Konzernstrukturen verbergen, könnten zu einer Gefahr für den Spielbetrieb werden und solide wirtschaftende Vereine benachteiligen.
Die DFL beruft sich auf ein Gerichtsurteil aus den achtziger Jahren, dass dem Ligaverband einen genauen Einblick in die Vermögenslage der Vereine verbieten soll. Eine Rechtsauffassung, die durchaus diskutabel ist.
„Das Urteil würde heute keinen Bestand mehr haben“, sagt der Bochumer Rechtsanwalt Christof Wieschemann, der sich mit Lizenzierungsverfahren in Deutschland und anderswo beschäftigt. „Heute denkt man über dieses Thema ganz anders.“ Wieschemann hatte schon vor fünf Jahren heftige Kritik geübt.
Damals gab es Aufregung um Borussia Dortmund. Dem Verein wäre für die Spielzeit 2004/2005 beinahe die Lizenz entzogen wurden. Selbst innerhalb der DFL soll es Unstimmigkeiten gegeben haben, ob der hoch verschuldete Verein zwangsabsteigen solle.
„Als Folge dieser Geschichte hat sich auch die Methode der DFL verbessert, insbesondere durch die Einführung des Nachlizenzierungsverfahrens“, sagt Wieschemann. Die DFL prüft dabei routinemäßig, ob sich bei den Vereinen nach der Lizenzerteilung finanzielle Rahmenbedingungen verändert haben. So musste sich in dieser Spielzeit Schalke 04 dem Nachlizenzierungsverfahren stellen. Erst der Verkauf von Stadionanteilen an die Stadtwerke Gelsenkirchen für über 20 Millionen Euro linderte Schalkes Finanzprobleme.
Trotz des Nachlizenzierungsverfahrens hält Christof Wieschemann das derzeitige Verfahren nicht für ausreichend. „Ich halte zumindest die Vorlage einer Konzernplanrechnung, also einer Liquiditätsplanung der Tochterunternehmen, für erstrebenswert“, sagt er.
Da die DFL sich letztlich aus der Summe der Vereine zusammensetzt, müssten die Klubs selbst eine Änderung des Lizenzierungsverfahrens forcieren. Die aber scheinen nicht zu wollen. „Wenn ab der nächsten Saison solch eine Konzernplanrechnung auf dem Tisch liegen müsste, würden einige Vereine Schwierigkeiten bekommen“, sagt Wieschemann.
Auf europäischer Ebene plant die Uefa ein verschärftes Lizenzierungsverfahren, um Schuldenexzesse wie in England oder Spanien künftig zu verhindern. Die Deutschen sollen dabei als Vorbild dienen. Ein zweifelhaftes Vorhaben. Wieschemann: „Ich halte das deutsche Verfahren zwar für das beste in Europa – das heißt aber nicht, dass wir es nicht noch besser machen können.“
Christian Spiller
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